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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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machen, und es lohnt sich wohl, diese Grenzen einmal in Betracht zu ziehen. Für die Dichtung scheint es freilich zunächst, als wäre sie ganz ungebunden in ihren Voraussetzungen, als gingen sie selbst die Naturgesetze nichts an. Aber das gilt doch nur vom Märchen. Hier werden alle Gesetze der Erfahrung absichtlich oder naiv beiseite gesetzt. Das Märchen erschafft sich seinen Stoff selbst. Es macht geradezu die Aufhebung der Naturgesetze, ja sogar der Konsequenz der psychologischen Erfahrung zu seinem Stoffe, mit dem die Phantasie spielt. Die Form, zu der es seinen Stoff erhebt, ist alsdann die schrankenlose Freiheit des gestaltenden Geistes; mit dieser erfüllt es unser Bewußtsein und hebt uns dadurch aus dem Reiche der Notwendigkeit hinaus. In diesem freien Spiele der Phantasie besteht die Wirkung des Märchens.
    Aber um das Märchen kann es sich hier nicht handeln. Wir fragen ja danach, mit welchem Rechte die Dichtung die wirkliche Existenz der erfahrungsmäßig bisher nicht nachgewiesenen Planetenbewohner voraussetzen darf, um sie mit dem Inhalt des gegenwärtigen Lebens zu verknüpfen, wenn sie dieses zum Stoffe ernstgemeinter Erzählung wählt. Bei der Überführung in die dichterische Form dürfen dann die Gesetze der Natur und der Seele nicht verletzt werden, ohne den Widerspruch des Lesers zu wecken und die Wirkung zu stören. Denn alles, was im künstlerisch ernst gemeinten Romane geschieht, muß mit unserm eignen Erlebnis, also mit der zeitgenössischen Anschauung von Naturgesetz und Psychologie, in Verbindung zu bringen, muß erklärbar und glaubhaft sein. Eine Wirkung, die einfach durch Zauberkunst geschähe und nicht technisch sich begründen ließe, ist dichterisch ebensowenig brauchbar, wie eine plötzliche, psychologisch nicht motivierte Umwandlung eines Charakters. Es überschreitet z.B. meines Erachtens schon die Grenzen des poetisch Zulässigen, wenn erzählt wird, daß durch ein bisher nie beobachtetes Naturereignis eine plötzliche psychologische Wirkung eintritt, indem durch Einatmung von Gasen eines Kometenschweifes auf einmal alle Menschen zu Geschöpfen von engelhafter Güte umgewandelt werden. Unser Wahrhaftigkeitsgefühl duldet keine Voraussetzungen, die der bisherigen wissenschaftlichen und psychologischen Erfahrung schlechthin widersprechen. Wir geraten sonst in das Gebiet der Groteske, einer Kunstform, die hier ebenso wenig in Betracht kommt wie das Märchen.
    Es soll sich also hier nur um die Frage handeln, ob und wie in der ernsten Dichtung eine Verbindung von Planetenbewohnern mit modernen Menschen herzustellen sei. Will der Dichter bloß eine Phantasiegesellschaft schildern, so kann er diese natürlich auf eine beliebige unentdeckte Insel, auf einen fremden Planeten oder in eine ferne Zukunft verlegen. Aber das ist dann schon lehrhafte Dichtung mit mehr oder weniger ausgesprochener Tendenz, von der wir ja in der Weltliteratur und Philosophie berühmte Muster kennen; man denke nur an Platons oder Campanellas politische Utopien. Natürlich gibt es zahllose Übergänge zwischen der eigentlichen Poesie mit selbständigem ästhetischem Zweck zur didaktischen, satirischen oder scherzhaften Wirkung. Wenn bei Chamisso Peter Schlemihl seinen Schatten verkauft, so stehen wir schon im Gebiete des Märchens. Ebenso sind mythische Persönlichkeiten möglich, wenn es sich um die Bearbeitung einer Sage handelt, z.B. Faust. Dann läßt uns der Dichter eben in der Zeit leben, in der diese Sage als Wirklichkeit galt, und wir glauben mit Personen der Handlung an die tatsächliche Existenz des Teufels. Sollen jedoch Figuren, die aus der Phantasie oder dem Volksglauben entstammen, in der Gegenwart oder in einer dieser ganz nahen Zukunft unter uns auftreten, so muß ihre Existenz in der Erfahrung eben glaubhaft gemacht werden. Fremde Planetenbewohner müssen sich also dem Standpunkte irdischer Naturforschung und Psychologie fügen.
    Die Dichtung kann eine solche theoretische Forderung, ohne ihrem rein künstlerischen Zwecke etwas zu vergeben, wohl erfüllen, indem sie die wissenschaftliche Erkenntnis selbst zum Stoffe wählt, den sie in Form verwandelt. Der Inhalt der wissenschaftlichen Erfahrung einer bestimmten Zeit gehört ja doch zum Gesamtinteresse der Menschheit, denn er ist ein maßgebender Teil der Gegenwart in bezug auf Naturwissenschaft und Technik. Die Vorstellung, die wir uns auf diesem Felde vom Zusammenhang der Dinge machen, ist ein wesentliches Element des ganzen Kulturinhalts und kann
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