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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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demnach auch Gegenstand der dichterischen Behandlung werden. Seine Form aber gibt die Dichtung diesem ihrem Stoffe, indem sie ihn in persönliches Erlebnis von Charakteren umsetzt.
    Bei diesem Geschäfte ist nun die Dichtung weit freier im Gebrauche von Hypothesen als die Wissenschaft bei ihrer Aufgabe, diesen Erkenntnisinhalt zu schaffen. Der Dichter darf die Hypothese erweitern zu den Zwecken, die er für sein Wirken erforderlich hält, so lange er nur dem wissenschaftlichen Bewußtsein seiner Zeit nicht widerspricht. In der Wissenschaft ist die Hypothese von der fortschreitenden Erfahrung zu rechtfertigen, in der Poesie nur von ihrer psychologischen Brauchbarkeit, von der Wirkung, die sie ausübt, indem sie die Gegenstände und Ereignisse anschaulich und glaubhaft macht und in lebendige Gemütsbewegung des Lesers überführt.
    Hiermit aber ist der Kunst eine Einschränkung gestellt, die für die Wissenschaft nicht existiert, nämlich durch die Grenze, die für das Wesen des Ästhetischen gilt. Die besteht in der Forderung, daß die Darstellung durch ihre Anschaulichkeit ein allgemeines Gefallen ermögliche und erzwinge. Die Dichtung darf demnach kein Mittel, also, in unserm Falle, keine Hypothese verwenden, die es uns unmöglich machen, uns mit Leichtigkeit in die Natur, Art und Lebensweise der Planetenbewohner zu versetzen, oder die unser Gefühl für das Schöne verletzen.
    Man könnte sich etwa auf der Sonne Wolken von glühenden Gasen vorstellen, in denen ein bestimmter Kreislauf von chemischen Umsetzungen stattfände (womit eine Geschlossenheit individueller Systeme in Verbindung mit den Einwirkungen der Umgebung gesetzt wäre), so daß diese glühenden Wolken Organismen von riesigen Dimensionen bilden, wirkliche Feuerriesen, denen alsdann auch Bewußtsein nicht abgesprochen werden kann. So könnte ein Sonnenfleck seinen Roman haben. – Oder man könnte sich auf scheinbar erstarrten Weltkörpern mikroskopische Organismen denken, unter ganz andern Verbindungen entwickelt als auf der Erde, die selbstverständlich nicht auf unsern Eiweißstoffen aufgebaut sind, sondern aus Verbindungen, die noch die Temperaturen unter dem Gefrierpunkt des Quecksilbers Energien austauschen und die trotzdem Gemeinschaften bilden von weltbeherrschender Intelligenz. Von Seiten der Naturwissenschaft kann dagegen nichts eingewendet werden, als daß zur Annahme solcher Organismen keinerlei Veranlassung vorläge. Der Poesie stände es also frei, solche Hypothesen zu machen; aber sie könnte sie nicht brauchen, und selbst wenn uns die Erfahrung einmal solche Wesen unwiderleglich nachwiese, könnte der Dichter damit nichts anfangen. Denn es ist eine unentbehrliche Voraussetzung für die dichterische Wirkung, daß wir uns in das Erlebnis der geschilderten Geschöpfe mit unserm eignen Erlebnis versetzen können. Das ist aber bei Geistern mit Flammenkörpern von glühendem Wasserstoff oder bei intelligenten Bazillen, die in flüssiger Luft sich fortpflanzen und amüsieren, schlechterdings nicht möglich. Denn für solche Wesen existieren ganz andre Formen der Sinnlichkeit; sie müßten Empfindungen haben, wie wir sie nicht erleben und daher nicht nachfühlen können. Für die Vorgänge in derartig fremden Organismen vermögen wir kein Interesse zu gewinnen, es sei denn, daß wir diese einfach willkürlich wieder zu Menschen machen. Dann aber sind wir im Märchen oder in der Groteske, und von diesen Kunstformen ist hier nicht die Rede. Die dargelegte ästhetische Rücksicht zwingt den Dichter, seinen Bewohnern andrer Planeten menschliche Gestalt und menschliche Sinne zu geben, wenn auch in idealisierter Form; sonst könnten wir nicht mit ihnen leben. Ich bin fest überzeugt, daß auch auf andern Planeten intelligente Wesen wohnen, ich halte es jedoch für wahrscheinlich, daß sie von unsrer Gestaltung stark abweichen. Dieser naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit kann die Dichtung nicht Rechnung tragen, aber sie braucht es auch nicht. Denn da die Grundstoffe und die allgemeinen Formen des Energieumsatzes im ganzen Sonnensystem dieselben sind, so ist es durchaus möglich, daß auch die organische Welt auf Grund der Eigenart des Plasmas sich dort überall in analoger Weise aufgebaut hat. Es ist also dichterisch berechtigt anzunehmen, daß, wenigstens auf den vier innern Planeten, Merkur, Venus, Erde und Mars, vielleicht auch noch auf den Monden der äußern Planeten, das organische Leben ganz ähnliche Entwicklungen durchläuft, die sich
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