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Traumkristalle

Traumkristalle

Titel: Traumkristalle
Autoren: Kurd Laßwitz
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längst bekannt mit, daß es Organismen gebe, welche, Jahre lang eingetrocknet, doch wieder zum Leben gebracht werden könnten. Er hat nun seine Versuche auf höhere Organismen ausgedehnt und es fertiggebracht, eine vollständige Erhaltung derselben zu ermöglichen. Es wird das Blut ausgepumpt, sofort eine von ihm erfundene und mir nicht näher bekannte antiseptische Lösung eingespritzt, welche die feinsten Adern und Kapillargefäße durchdringt, und die Haut selbst mit der Lösung getränkt. Der so präparierte Tierkörper hält sich beliebig lange Zeit und kann durch ein im Anhang näher beschriebenes Verfahren jederzeit wieder zum Leben erweckt werden, so daß der Lebensprozeß gerade so fortgesetzt wird, als wäre er gar nicht unterbrochen gewesen. Nachdem ich mich an Kaninchen, Hunden und einem Pferde von der Zuverlässigkeit der Methode des Herrn Doktor Müller überzeugt hatte, bat ich denselben aus eigenem Antriebe, den Versuch an mir selbst zu machen. Endlich hat Herr Doktor Müller nachgegeben; er begleitete mich nach Europa und wird die Mumifizierung während der Überfahrt an Bord der „Nirwana“ vornehmen. Man wird mich alsdann in einem eigens dazu konstruierten eisernen Kasten verwahren, welcher in Berlin noch von einem goldenen umgeben werden soll. Dies soll geschehen, damit ich bei meinem Wiedererwachen nicht ohne Subsistenzmittel bin, und zwar soll dazu die Summe von 130000 Mark verwendet werden. Den Rest meines Vermögens habe ich bereits, um alle juristischen Bedenken zu vermeiden, von Philadelphia aus meinen beiden Kindern Wilhelm Carl und Wilhelm August Schulze geschenkt.
    Ich erkläre nochmals, daß ich auf mein Verlangen und ohne fremde Beeinflussung einbalsamiert wurde, und bestimme, daß genau zweihundert Jahre nach meiner Mumifizierung, am 1. August 2076, ich durch die derzeitigen medizinischen Autoritäten wieder lebendig gemacht werde. Bis dahin soll ich in meiner Familie sorgfältig aufbewahrt werden.
    Da es für mich gleichgültig ist, ob ich meine zehn bis zwanzig Jahre jetzt oder später noch ablebe, so ziehe ich’s vor, lieber im einundzwanzigsten Jahrhundert zu existieren, wo alsdann die Mietspreise vielleicht wieder mehr gestiegen sind.
    Friedrich Wilhelm Schulze
    Hausbesitzer und Rentier
     
    Hieran schloß sich eine Anweisung, wie durch Transfusion von lebendem Blut, künstliche Atmung, elektrische Behandlung usw. der stillstehende Organismus wieder in Bewegung versetzt werden könnte. Das dritte Aktenstück lautete:
     
    An Bord der Nirwana,
    8. August 1876
    Nachdem ich Herrn Friedrich Wilhelm Schulze nach allen Regeln der Kunst auf sein Verlangen mumifiziert und in den eisernen Kasten gelegt habe, sehe ich mich genötigt, ihn, ohne mein Versprechen zu erfüllen und ihn nach Berlin bringen zu können, dem Meere und einem unbestimmten Schicksal zu übergeben. Unser Schiff brennt in Folge einer Explosion. Wir sind gezwungen, dasselbe zu verlassen; Schulze mitzutransportieren ist trotz meines Verlangens als ganz unmöglich vom Kapitän zurückgewiesen worden. Ich schließe daher die Kiste noch einmal in eine Umhüllung von Kupferblech – noch habe ich eine Stunde Zeit – und übergebe sie dem Meere. Eine leere Tonne soll sie schwimmend erhalten – vielleicht findet der Verlassene einst Erlösung. Auch wir ergeben uns unserem Schicksal.
    Dr. Müller, praktischer Arzt
     
    Kotyledo und der Arzt schüttelten staunend den Kopf. Dann riefen sie wie mit einem Munde: „Wo ist Schulze?“
    Strudel hatte schon über der eisernen Kiste gearbeitet. Mit großer Mühe, aber auch mit großer Sorgfalt wurde jetzt der Deckel abgehoben. In Baumwolle vorsichtig verpackt, kam der Körper eines ältlichen Mannes in der Tracht des neunzehnten Jahrhunderts zum Vorschein. Völlig frisch, als wäre er eben entschlummert, sah dieser Mann aus, der zweitausend Jahre auf dem Grunde des Meeres gelegen hatte. Der Arzt beugte sich über ihn und betrachtete ihn sorgfältig.
    „Bis ins kleinste Detail erhalten“, sagte er bewundernd. „Die Alten waren doch nicht so dumm, wie wir uns gern glauben machen möchten. Jede Zelle, jedes kleinste Gefäß, jeder Nerv ist genau so, wie er zu Lebzeiten dieses Mannes war – die stoffliche Zusammensetzung ist unverändert, nur die organische Bewegung fehlt. Es ist eine Uhr, die vor zweitausend Jahren stehengeblieben ist. Dieser Biedermann wollte sie schon nach zweihundert Jahren wieder aufziehen lassen – er hat den Termin verschlafen. Nun, wir wollen es heute
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