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Traumfrau (German Edition)

Traumfrau (German Edition)

Titel: Traumfrau (German Edition)
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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Oder am Rand des frisch bestellten Ackers, der keine fünfzig Meter hinter dem Club lag. Auch Günther Ichtenhagen fühlte sich durch das nächtliche Aufheulen von Automotoren belästigt. Schon mehrfach war er dadurch aus dem Schlaf gerissen worden. Irgendetwas für ihn Unergründliches brachte die Männer dazu, leise und heimlich zu parken, sich fast in den Club hineinzuschleichen und bei der Abfahrt laut und aggressiv zu sein. Sie donnerten durch das Dorf, als sei es eine Rennstrecke, und wer sie sah, wunderte sich, dass sie dabei nicht noch laut hupten.
    Gegen vier Uhr morgens, wenn die letzten Kunden das Dorf verlassen hatten, erlosch die Lichterkette und der Fahrer brachte die Frauen in seinem blank gewienerten Mercedes zurück. Der Club war das einzige Haus im Dorf, in dem niemals die Rollläden hochgezogen wurden.
    Im Gemeinderat dachte man laut darüber nach, ob denn gegen dies neue Wahrzeichen von Ichtenhagen nichts unternommen werden könnte. Aber außer einem Brief an Udo Tiedemann, in dem er aufgefordert wurde, den Mietvertrag mit seinen eigentümlichen Kunden nicht zu verlängern, brachte man nichts zustande. Der Bürgermeister hatte angeblich den Clubbesitzer schriftlich aufgefordert, die auffällige Beleuchtung wieder zu entfernen, aber Günther Ichtenhagen hielt das für ein Märchen, denn Bürgermeister Sendlmayr wusste, als er in der Linde darauf angesprochen wurde, nicht einmal den Namen des Clubbesitzers.
    An der Klingel stand kein Name. Der Klingelknopf war mit Nagellack rot angemalt worden.
    Die Befürchtungen der Dorfbewohner, von jetzt an ständig die Polizei im Dorf zu haben, erwiesen sich als überflüssig. Bisher war die Polizei nicht ein einziges Mal im Club aufgetaucht. Eine Weile war es Dorfgespräch, dass es eine Schlägerei gegeben hatte. Der Fahrer des Mercedes 280 SE, der die Damen brachte und auch wieder abholte, hatte einen Kunden – aus Gründen, die niemand kannte – hinausgeworfen und ihm vor der Tür noch eine gelangt. Der Rausgeworfene zog mit gesenktem Kopf beschämt ab. Das war die ganze Schlägerei. Mehr hatte niemand gesehen, trotzdem war es lange Zeit Thema Nummer eins.
    Einmal hatte eine der Frauen noch vor achtzehn Uhr einen Spaziergang im Dorf unternommen. Sie kam an Günther Ichtenhagens Haus vorbei, blieb ein paar Sekunden stehen und sah sich den gerade erst entstandenen Teich an. Er zimmerte an einer Bank, die er an der Längsseite des Teiches aufstellen wollte. Er sah dem Mädchen direkt in sein kindliches Gesicht. Sie lachte ihn breit an. An seinen Fingern klebten Sägespäne und Erde. Er wischte sie an den Hosenbeinen ab, stand auf und ging auf die Besucherin zu. Erst später wurde ihm bewusst, dass sie mädchenhaft auf ihn gewirkt hatte. Wie seine Schülerinnen mit vierzehn, fünfzehn, kurz vor der Abschlussklasse. Wie seine Tochter, als sie zur Konfirmation ging.
    Er wollte ihr die Hand geben, ja, sie in seinen Garten bitten, doch als er zwei Schritte in ihre Richtung machte, schreckte sie zurück, als sei er mit einem Dolch bewaffnet. Der Mercedesfahrer hetzte auf das Haus zu, als hätte er Angst, es könne ihm etwas entwischen. Das Mädchen stand stumm. Der Fahrer schrie sie in einer Sprache an, die Günther Ichtenhagen nicht verstand, doch an ihrem entsetzten, schuldbewussten Gesicht, an dem aggressiven Ton und den wütenden Gesichtszügen des Fahrers erkannte Günther Ichtenhagen unschwer, dass der Mann dem Mädchen Vorwürfe machte. Dann packte er sie am Ärmel und zwang sie, mit ihm zu gehen. Sie wehrte sich nicht.
    Sie rief nicht um Hilfe, nur ihre Körperhaltung signalisierte Günther Ichtenhagen, dass die Frau Hilfe brauchte. Er wollte „Hallo, halt! Lassen Sie die Frau los!” rufen. Er wollte sogar hinterher, sich dem Mann in den Weg stellen und ihn für sein rüpelhaftes Verhalten zurechtweisen, wie er früher seine Schüler gemaßregelt hatte.
    Aber er war kein Held. Und weit über sechzig.
    Trotzdem musste er etwas gerufen haben, denn der Fahrer drehte sich zu ihm um und sah ihn fragend an.
    Entschuldigend zuckte Günther Ichtenhagen mit den Schultern und stammelte fast:
    „Ich hab ihr nichts getan. Ich wollte ihr nur meinen Teich zeigen ...”
    Und im gleichen Augenblick ärgerte er sich maßlos über sich selbst. Das Mädchen habe keine Angst vor ihm, sondern vor dem Fahrer. Wie kam er dazu, sich vor dem auch noch zu rechtfertigen?
    Der Vorfall hatte ihn lange beschäftigt. Er verstand sein eigenes Verhalten nicht.
    Die Aspirintablette half
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