Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traum ohne Wiederkehr

Traum ohne Wiederkehr

Titel: Traum ohne Wiederkehr
Autoren: André Norton
Vom Netzwerk:
Dieses – Ding hatte nie Mißerfolg erfahren. Es hatte sich seine Opfer nach seinem Belieben ausgewählt, und nichts und niemand konnte ihm widerstehen.
    Tam-sin holte sich Kraft aus ihrem Ich, das Träumerin und Seesängerin war. Dieses Etwas war kein Mensch im üblichen Sinn, es ging über jede Klassifizierung, jede Erklärung hinaus. Daß sie Kas hier vorgefunden hatte, trug seltsamerweise auch irgendwie dazu bei, jenen Teil ihres Selbst zu stärken, der ebenfalls nie eine Niederlage hatte hinnehmen müssen.
    Die Kugel war es, die die Lebenskraft entzog – für sich? Oder für den Mann, den sie beschützte? Kas’ Körper wies nicht die geringste Spur von Verfall auf, und sie glaubte sogar zu sehen, daß sich seine Brust ganz leicht hob und senkte.
    Die Kugel …
    Das, was in ihr lebte, wurde stärker – bereit, Tam-sin zu überwältigen. Tam-sin drehte das Schwert um, das sie immer noch hielt. Obgleich die scharfen Zähne seiner Schneide schmerzhaft in ihr Fleisch schnitten, hob sie es hoch über ihren Kopf und hieb den Knauf mit aller Gewalt herab auf die Kugel.
    Sie zerschmetterte nicht, wie Tam-sin gehofft hatte. Im Gegenteil, das Licht darin wirbelte heftig und spürbar bösartig, daß Tam-sin unter ihrem geistigen Gegenangriff taumelte. Trotzdem hieb sie ein zweitesmal mit größter Kraft auf den pulsierenden Ball ein, und das Blut aus ihren zerschundenen Händen sickerte über den Schwertgriff.
    Doch die Kugel zerbrach nicht. Und schon in der nächsten Sekunde mochte sie Tam-sin mit ihrer unheimlichen Macht überwältigen. Was war …
    Tam-sin nahm das Schwert wieder beim Griff, und das Blut floß nun über ihr Handgelenk. Ihr blieb bestimmt nicht mehr als ein Herzschlag, und sie hatte nur eine Vermutung, nicht mehr. Sie hielt das Schwert, so gut sie konnte, und stieß die Spitze in die Brust des Mannes im Sarg – eine andere Wahl hatte sie nicht.
     
9.
     
    Ein heulendes Kreischen schrillte plötzlich in ihren Ohren, aber es konnte nicht über Tam-sins Lippen gekommen sein, ganz einfach deshalb nicht, weil ihr im Augenblick die Kehle wie zugeschnürt war. Unter einem wilden Schlag verließen sie vorübergehend die Sinne. Sie taumelte und fiel auf die übereinandergehäuften Leichen. Verzweifelt klammerte sie sich an das Fünkchen Leben in ihr.
    Das Heulen drohte ihre Ohren zu zerreißen, und das plötzliche grelle Licht blendete sie. Sie stöhnte. Es steckte kein bißchen Kraft mehr in ihr, sie konnte nur versuchen, noch eine Weile durchzuhalten.
    Neben ihr bewegte sich etwas.
    Das – Ding im Sarg! Durch den ungeheuerlichen Gegenschlag, der ihr kurz das Bewußtsein geraubt hatte, hatte sie sich nicht einmal vergewissern können, ob ihr Schwert überhaupt sein Ziel gefunden hatte. »Nein, nein!« wimmerte sie.
    Und irgendwie gelang es ihr doch, aus irgendeiner, ihr selbst nicht bewußten Quelle, ein Fünkchen neue Kraft zu schöpfen. Sie kämpfte sich hoch, voll Ekel über das, worauf sie lag, und was neben ihr in die Ewigkeit schlummerte. Nicht länger blendete das Licht ihre brennenden Augen. Es flackerte in der Kugel, als kämpfe es jetzt genau wie sie um ein Überleben.
    Dieser ungeheure Haß, der sie mit solch betäubender Gewalt getroffen hatte, war nicht mehr zu spüren. Tam-sin tastete mit einer Hand nach dem Sarg, und ihre Finger klammerten sich um den Rand.
    Darauf gestützt, versuchte sie sich aufzurichten.
    Das Licht in der Kugel wand sich und zuckte wie eine tödlich getroffene Schlange. Tam-sin wünschte sich eine Axt herbei und die Kraft, erbarmungslos darauf einzuschlagen.
    »Tam-sin!«
    Obgleich das Heulen ein wenig nachgelassen hatte, konnte sie kaum hören, daß jemand sie rief. Sie starrte mit großen Augen in den Sarg. Kilwars Schwert steckte aufrecht zwischen den Rippen des Schläfers. Bloß war es jetzt kein Schläfer mehr – das Fleisch schrumpfte zusammen, war verschwunden, und nur Haut spannte sich über die Knochen.
    »Tam-sin!« Ein Arm legte sich um ihre Schultern, als sie gegen die Übelkeit ankämpfte, die in ihr hochstieg.
    »Kas!« Mit zitternder Hand deutete sie auf das, was im Sarg lag und ganz offensichtlich die Leiche eines seit vielen Monaten toten Mannes war.
    Grimm, hilfloser Grimm! Obgleich sie den Arm um sich spürte, konnte sie doch den Blick nicht von der Kugel nehmen. Aber jetzt war sie nicht mehr von perfekter Kugelform, sondern beulte sich an den verschiedensten Stellen auf, als bemühe ihr Inhalt sich zu befreien.
    »Hinaus!« Tam-sin mußte zweimal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher