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Trapez

Trapez

Titel: Trapez
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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denkst!
    Aber wenn ich mir dein Auge so ansehe, brauchst du das gar nicht mehr.«
    Tommy starrte auf den Boden und schlich sich davon.
    Sein Mund war geschwollen und schmeckte nach Blut, und seine Fingerknöchel waren wund. Ihm war, als ob er weinen mü ss te, aber sein Auge tat zu weh, um Tränen zu vergießen .
    Er hatte damit geprahlt, ein Luftakrobat zu sein. Und alles, was er war, war eine Tänzerin. Ein dämlich aussehendes Etwas mit einem blöden rosa Rock und einer blonden Perücke. Wahrscheinlich lachte ihn jeder im Publikum aus, weil sie sehen konnten, dass er ein Junge in Mädchenkleidern war. Und Jeff hatte seine Schande gesehen. Jeff würde es all seinen Schulfreunden erzählen, allen, die er kannte und mochte, dass er im Zirkus mit einer blonden Perücke und rosa Rüschenröcken arbeitete!
    Vielleicht war es seine eigene Schuld, damit herumzutönen, dass er im Zirkus arbeitete. Vielleicht verdiente er es so. Er trottete über den Platz und ha ss te sich selbst.
    Seine Mutter stellte gerade das Abendessen auf den Tisch, als er schließlich hereinschlurfte. Sie war verärgert.
    »Du kommst zu spät«, sagte sie. Dann: »Tommy, hattest du eine Schlägerei? Dein Mund – dein Auge!«
    »Nein«, schwindelte er mit gekreuzten Fingern hinter dem Rücken. »Ich hab’ meinen Kopf an – an einer Leiter gestoßen .«
    »Und deine Knöchel hast du dir auch aufgeschürft an der Leiter?! Und auch deine Lippe aufgeschlagen?!«
    »La ss ihn in Ruhe, Beth«, sagte Tom Zane vom Waschbecken, wo er sich gerade seine Hände wusch. »Du kannst von einem Jungen nicht erwarten, von einem Kampf zu erzählen. Komm, wasch dich fürs Abendessen, Junior!«
    Tommy stocherte auf seinem Teller herum, aber die scharfen Augen seiner Mutter bemerkten auch das. »I ss t du gar nichts?«
    Er mu ss te wieder lügen: »Ich habe ein paar Hot Dogs an der Würstchenbude gegessen.«
    »Du solltest dich nicht mit dem Mist vollstopfen«, schimpfte seine Mutter.
    »Macht nichts. Er kann nach der Abendvorstellung noch einen Happen essen«, sagte sein Vater. Tommy ahnte, was sein Vater dachte: dass Tommy wegen der Show gereizt war. War er auch, aber nicht so, wie sein Vater dachte. Was er nicht ausstehen konnte, war, dass er das schreckliche rosa Tüllkostüm anziehen und als Mädchen verkleidet vor der ganzen Stadt auftreten mu ss te. Vor Leuten, mit denen er letztes Jahr zusammen zur Schule gegangen war. Er murmelte seiner Mutter eine Entschuldigung zu und rannte seinem Vater, nach, bis er ihn in der Nähe der Raubtierkäfige einholte. Er wu ss te, dass es ein schweres Vergehen war, seinen Vater mit irgendetwas Persönlichem kurz vor der Vorstellung zu stören, aber sein Schmerz und seine Verwirrung waren so groß , dass er es riskierte.
    »Dad, ich muss dich was fragen. Glaubst du, dass sie mich auslachen, weil ich ein Mädchenkostüm in der Seilnummer anhab’?« Tom Zane überprüfte seine Peitschen und Requisiten und legte sie für die Vorstellung zurecht.
    »Warum sollten sie? Ein Künstler zieht das an, was ihm gesagt wird!«
    »Dad«, sagte er, »mu ss ich mit der Seilnummer weitermachen?«
    Sein Vater drehte sich um und sah ihn an. »Also jetzt hör mal zu«, sagte er. »Während der letzten beiden Jahre war jedes zweite Wort von dir Trapez, Trapez, Trapez.
    Du hast jetzt in der Show angefangen, du tust, was man dir sagt, du ziehst an, was man dir gibt und hast keine Widerworte! Verdammt noch mal, ich hab’ jetzt zu tun!
    Verschwinde!«
    Er lief fort. Die Worte seines Vaters waren vielleicht ein Trost – ein Künstler zieht das an, was man ihm sagt –, aber sie löschten nicht die Erinnerung an Jeffs höhnisches Gesicht aus.
    Die lüsternde Zweideutigkeit seiner Worte: Willst du nicht mit mir ausgehen? Ihm war schlecht. Und sein Vater hatte nicht einmal zugehört.
    Es gab jemanden, den er fragen konnte. Mario. Er überlegte, ob Mario ein rosa Kostüm und eine blonde Perücke angezogen hätte und mit den Mädchen aufgetreten wäre.
    Die Vorstellung war lächerlich. Aus irgendeinem Grund fühlte er sich noch schlechter. Aber der lange, schwarze Wagen, auf dessen ganzer Länge die Worte THE FLYING SANTELLIS prangten und den die Santellis als Umkleideraum vor dem Auftritt benutzten, war dunkel und verlassen. Er ging sogar zu ihrem Wohnwagen, etwas, was er noch nie zu tun gewagt hatte, aber auch der war dunkel, und auf sein Klopfen gab es keine Antwort. Sie müssen in die Stadt zum Essen gegangen sein, dachte Tommy. Er wandte sich ab in die
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