Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Trapez

Trapez

Titel: Trapez
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
fühlst du dich wie ein Mädchen, wenn du das Kostüm anhast? Möchtest du ein Mädchen sein?«
    »Um Himmels willen, nein! « rief Tommy. »Was glaubst du, was ich bin?«
    »Das ist es ja«, sagte Mario in der Dunkelheit neben ihm. »Du bist, was du glaubst, das du bist. Wenn du dich nicht wie ein Mädchen fühlst, okay, dann ist es nur ein Kostüm. Wenn du dich anders fühlen würdest, so, als ob du ein Mädchen wärst, dann würde ich sagen, zieh es nicht an. Kämpfe dagegen. Aber wenn du dich wie ein Mann fühlst, wen, zum Teufel, schert es, was du in der Show anhast? Alles was ein Mann tut, ist männlich, oder?
    Oder glaubst du, du mu ss t mit geballten Fäusten rumrennen? Oder dir ein Gewehr umhängen wie Tom Mix, um dich wie ein Mann zu fühlen?«
    Tommy fühlte sich plötzlich lächerlich. Lächerlich, aber zugleich erleichtert. Er sagte: »Du glaubst nicht, dass ich zu sehr wie ein Mädchen aussehe?«
    »Himmel nein«, antwortete Mario sofort. Und als sie ins Licht in der Nähe von Margots Wohnwagen kamen, verzog sich sein ernstes Gesicht plötzlich zu einem Grinsen. »Ragazzo! Du hast nichts Verweichlichtes an dir. Du siehst nicht aus wie ein Mädchen, du gehst nicht wie ein Mädchen, du fliegst nicht wie ein Mädchen – und ich hab mit meiner Schwester angefangen zu fliegen, ich weiß , wovon ich rede. Keiner könnte dich je für ein Mädchen halten, nicht mal in dem Kostüm, außer die Idioten da draußen . Und wenn du dich darum scherst, was die glauben, bist du im falschen Geschäft.«
    Sein Vater hatte das gesagt, Margot hatte das gesagt, aber aus irgendeinem Grund, wohl weil es von Mario kam, fiel der Groschen. Tommy stieß einen langen, schweren Seufzer aus. Ihm war nicht mehr nach Weinen zumute.
    »Los«, sagte Mario, »deine Nummer wartet auf dich.
    Wenn du zwei Jahre älter wärst, würdest du ‘ne Strafe bekommen, weil du die Parade verpa ss t hast. Du willst doch wie ein Kollege behandelt werden, Tommy, dann benimm dich auch so. Los – beeil dich lieber.«
    Er lief los und sah sich nicht um. Margots Wohnwagen war ein Durcheinander, voller Mädchen, flatternder Röcke, Puder, Tüll. Zögernd trat Tommy ein.
    »Tommy, Gott sei Dank«, Margot schien sich nicht zu erinnern, dass er schon vorher dagewesen war. Sie warf ihm einen Haufen rosa Tüll zu. »Du hast keine Zeit, zurück zu deinem Wohnwagen zu gehen und dich umzuziehen. Geh nach hinten in die Küche.«
    Er ging kommentarlos dorthin, stopfte seine Sachen in den engen Raum zwischen Herd und Kühlschrank und zog sich das Rüschenkostüm an. Als er heraus kam, band er sich die Schuhe zu. Die Mädchen waren in einem flatternden Rosa verschwunden. Betsy Gentry lag auf Little Anns Bett in einen ausgeblichenen Kimono gewickelt.
    Sie sah sehr klein aus. Ihr Knöchel ruhte auf einem Eisbeutel aus Leinen, aus dem es auf ein Stück Wachstuch tropfte.
    Tommy blieb neben ihr stehen.
    »Betsy, warum hast du mir nichts gesagt?«
    »Weil sie eine Künstlerin ist, die auftreten mu ss «, sagte Margot kurz. »Beeil dich, Tommy. Dein Gesicht ist eine Katastrophe.« Sie klatschte einen nassen Waschlappen darauf und als Tommy sah, dass sein Gesicht tränenund staubverschmiert war, ließ er die unwürdige Behandlung über sich ergehen, dass Margot sein Gesicht schrubbte.
    Als er zum Eingang lief (er sah erleichtert, dass er nicht zu spät kam, dass die Gruppe rosa gekleideter Mädchen und Frauen immer noch dort wartete), fiel ihm wieder ein, dass ihn seine Schulfreunde als Mädchen auftreten sehen würden. Aber das schien jetzt keine Rolle mehr zu spielen.
    Warum sollte es ihm etwas ausmachen was sie dachten? Er war ein Akrobat, der tat, was ihm beigebracht wurde und was die Show erforderte. Weil er sich wie eine Heulsuse benommen hatte, hatte er vielleicht Marios Freundschaft und Interesse verloren, aber er konnte sich wieder selbst achten.
    Die Kapelle spielte die ersten Takte vom ›Pink Lady Waltz‹; er hörte Zelda neben ihm flüsternd mitzählen.
    Dann war er am Seil, kletterte hinauf, die Gesichter im Publikum waren durch das Licht verwischt. Die Welt da draußen war wirklich, wirklicher, als er es je zu glauben vermocht hatte – aber sie würde nie wieder Macht über ihn haben.

KAPITEL 3

Während der Pause, als die Händler Erdnüsse, Zuckerwatte und Spielzeugaffen verkauften, saß Tommy in Turnhose und Pullover da und beobachtete, wie sich die Nummern der zweiten Hälfte des Programms aufstellten.
    Er hatte ein paar bekannte Gesichter im Publikum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher