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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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der Ausgangspunkt eines absoluten Blickes und die Transparenz ist nicht mehr das Ideal der Kontrolle. Im objektiven Raum (dem Raum der Renaissance) war die Transparenz noch Voraussetzung für die Allmacht des despotischen Blicks.« 92 Baudrillard war damals die digitale Vernetzung nicht bekannt. Heute müsste man gegen seine Zeitdiagnose feststellen: Wir erleben im Moment nicht das Ende des Panoptikums, sondern den Anfang eines ganz neuartigen, aperspektivischen Panoptikums. Das digitale Panoptikum des 21. Jahrhunderts ist insofern aperspektivisch, als es nicht mehr von dem einen Zentrum, von der Allmacht des despotischen Blickes überwacht wird. Die Unterscheidung von Zentrum und Peripherie, die konstitutiv für das Benthamsche Panoptikum ist, verschwindet ganz. Das digitale Panoptikum kommt ohne jede perspektivische Optik aus. Das macht seine Effizienz aus. Die aperspektivische Durchleuchtung ist wirksamer als die perspektivische Überwachung, weil man von allen Seiten, von überall her, ja von jedem ausgeleuchtet werden kann.
     
    Das Benthamsche Panoptikum ist eine Erscheinung der Disziplinargeseilschaft, es ist eine Besserungsanstalt. Der panoptischen Kontrolle werden Gefängnisse, Fabriken, Irrenhäuser, Hospitale und Schulen unterworfen. Es sind typische Institutionen der Disziplinargeseilschaft. Die um den Kontrollturm kreisförmig angeordneten Zellen sind streng voneinander isoliert, so können die Insassen nicht miteinander kommunizieren. Die Trennwände sorgen dafür, dass sie einander auch nicht sehen können. Zum Zweck der Besserung werden sie, so heißt es bei Bentham, der Einsamkeit ausgesetzt. Der Blick des Aufsehers erreicht jeden Winkel der Zelle, während er selbst für die Insassen unsichtbar bleibt: »The essence of it consists, then, in the centrality of the inspector's situation, combined with the well-known and most effectual contrivances for seeing without being seen. « 93 Mithilfe raffinierter Technik wird die Illusion permanenter Überwachung erweckt. Die Transparenz ist hier nur einseitig gegeben. Darin besteht ihre Perspektivität, die Macht- und Herrschaftstruktur begründet. In der Aperspektivität bildet sich dagegen kein zentrales Auge, keine zentrale Subjektivität oder Souveränität heraus. Während die Insassen des Benthamschen Panoptikums sich der permanenten Präsenz des Aufsehers bewusst sind, wähnen sich die Bewohner des digitalen Panoptikums in Freiheit.
     
    Die heutige Kontrollgesellschaft weist eine besondere panoptische Struktur auf. Im Gegensatz zu den voneinander isolierten Insassen des Benthamschen Panoptikums vernetzen sich ihre Bewohner und kommunizieren intensiv miteinander. Nicht die Einsamkeit durch Isolierung, sondern die Hyperkommunikation garantiert die Transparenz. Die Besonderheit des digitalen Panoptikums ist vor allem, dass seine Bewohner selbst an seinem Bau und an seiner Unterhaltung aktiv mitarbeiten, indem sie sich selbst zur Schau stellen und sich entblößen. Sie stellen sich selbst im panoptischen Markt aus. Die pornografische Zurschaustellung und die panoptische Kontrolle gehen ineinander über. Der Exhibitionismus und Voyeurismus speist die Netze als digitales Panoptikum. Die Kontrollgesellschaft vollendet sich dort, wo ihr Subjekt sich nicht aus äußerem Zwang, sondern aus selbstgeneriertem Bedürfnis heraus entblößt, wo also die Angst davor, seine Privat- und Intimsphäre aufgeben zu müssen, dem Bedürfnis weicht, sie schamlos zur Schau zu stellen.
     
    Angesichts des unaufhaltsamen Fortschrittes der Überwachungstechnik ergreift der Futurist David Brin die Flucht nach vorne und fordert eine Überwachung aller durch alle, also eine Demokratisierung der Überwachung. Davon erhofft er sich eine »Transparent Society«. So stellt er einen kategorischen Imperativ auf: »Can we stand living exposed to scrutiny, our secrets laid open, if in return we get flashlights of our own that we can shine on anyone [...]?« 94 Brins Utopie der »Transparent Society« beruht auf einer Entgrenzung der Überwachung. Jeder asymmetrische Informationsfluss, der ein Macht- und Herrschaftsverhältnis hervorbringt, soll eliminiert werden. Gefordert wird also eine reziproke Ausleuchtung. Nicht nur das Unten wird durch das Oben, sondern auch das Oben durch das Unten überwacht. Jeder liefert jeden der Sichtbarkeit und Kontrolle aus, und zwar bis in die Privatsphäre hinein. Diese Totalüberwachung degradiert die »Transparent Society« zu einer inhumanen
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