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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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Möglichkeit solcher unerklärbaren Erscheinungen von ihr ausschliessen wollte.« 5
     
    Naiv ist auch die Ideologie der ›Post-Privacy‹. Sie fordert im Namen der Transparenz eine totale Preisgabe der Privatsphäre, die zu einer durchsichtigen Kommunikation führen soll. Sie sitzt gleich mehreren Irrtümern auf. Der Mensch ist nicht einmal sich selbst transparent. Freud zufolge verneint das Ich gerade das, was das Unbewusste schrankenlos bejaht und begehrt. Das »Es« bleibt dem Ich weitgehend verborgen. Durch die menschliche Psyche geht also ein Riss, der das Ich nicht mit sich übereinstimmen lässt. Dieser fundamentale Riss macht die Selbsttransparenz unmöglich. Auch zwischen Personen klafft ein Riss. So lässt sich unmöglich eine interpersonale Transparenz herstellen. Sie ist auch nicht erstrebenswert. Gerade die fehlende Transparenz des Anderen erhält die Beziehung lebendig. Georg Simmel schreibt: »Die bloße Tatsache des absoluten Kennens, des psychologischen Ausgeschöpfthabens ernüchtert uns auch ohne vorhergehenden Rausch, lähmt die Lebendigkeit der Beziehungen [...]. Die fruchtbare Tiefe der Beziehungen, die hinter jedem geoffenbarten Letzten noch ein Allerletztes ahnt und ehrt, [...] ist nur der Lohn jener Zartheit und Selbstbeherrschung, die auch in dem engsten, den ganzen Menschen umfassenden Verhältnis noch das innere Privateigentum respektiert, die das Recht auf Frage durch das Recht auf Geheimnis begrenzen läßt.« 6 Dem Transparenzzwang fehlt gerade diese »Zartheit«, die nichts anderes bedeutet als die des Respekts vor der nicht vollständig zu eliminierenden Andersheit. Angesichts des Pathos der Transparenz, das die heutige Gesellschaft erfasst, täte es Not, sich im Pathos der Distanz zu üben. Distanz und Scham lassen sich nicht in die beschleunigten Kreisläufe des Kapitals, der Information und der Kommunikation integrieren. So werden alle diskreten Rückzugsräume im Namen der Transparenz beseitigt. Sie werden ausgeleuchtet und ausgebeutet. Die Welt wird dadurch schamloser und nackter.
     
    Auch die Autonomie des einen setzt die Freiheit zum Nicht-Verstehen des anderen voraus. Sennett bemerkt: »Statt einer Gleichheit des Verstehens, einer transparenten Gleichheit, bedeutet Autonomie, daß man akzeptiert, was man im anderen nicht versteht - eine opake Gleichheit.« 7 Eine transparente Beziehung ist außerdem eine tote Relation, der jede Anziehung, jede Lebendigkeit fehlt. Ganz transparent ist nur das Tote. Es wäre eine neue Aufklärung, anzuerkennen, dass es positive, produktive Sphären des menschlichen Daseins und Mitseins gibt, die der Transparenzzwang regelrecht zugrunde richtet. So schreibt auch Nietzsche: »Die neue Aufklärung. [...] Es ist nicht genug, daß du einsiehst, in welcher Unwissenheit Mensch und Thier lebt; du mußt auch noch den Willen zur Unwissenheit haben und hinzulernen. Es ist dir nöthig, zu begreifen, daß ohne diese Art Unwissenheit das Leben selber unmöglich wäre, daß sie eine Bedingung ist, unter welcher das Lebendige allein sich erhält und gedeiht.« 8
     
    Mehr an Information führt erwiesenermaßen nicht notwendig zu besseren Entscheidungen. 9 Die Intuition etwa transzendiert die verfügbaren Informationen und folgt ihrer eigenen Logik. Durch die wachsende, ja wuchernde Informationsmasse verkümmert heute das höhere Urteilsvermögen. Oft bewirkt ein Weniger an Wissen und Information ein Mehr. Die Negativität des Auslassens und des Vergessens wirkt nicht selten produktiv. Die Transparenzgesellschaft duldet weder Informations- noch Sehlücke. Sowohl das Denken als auch die Inspiration bedarf aber einer Leere. Das Wort Glück rührt im Übrigen von der Lücke her. Auf Mittelhochdeutsch heißt es noch gelücke. So wäre die Gesellschaft, die keine Negativität der Lücke mehr zuließe, eine Gesellschaft ohne Glück. Liebe ohne Sehlücke ist Pornografie. Und ohne Wissenslücke verkommt das Denken zum Rechnen.
     
    Die Positivgesellschaft verabschiedet sich sowohl von der Dialektik als auch von der Hermeneutik. Die Dialektik beruht auf der Negativität. So wendet sich Hegels »Geist« vom Negativen nicht ab, sondern erträgt es und erhält sich in ihm. Die Negativität nährt das »Leben des Geistes«. Das Andere im Selben, das eine Negativ-Spannung erzeugt, erhält den Geist lebendig. Er ist die »Macht« nur, so Hegel, wenn »er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt«. 10 Dieses Verweilen ist die »Zauberkraft, die es in das Sein
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