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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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widerstandslos zurückweicht, sondern eine letzte Verschanzung bezieht. Sie sei das »Menschenantlitz«. So stehe das Portrait nicht zufällig im Mittelpunkt der frühen Fotografie. Im »Kult der Erinnerung an die fernen oder die abgestorbenen Lieben« habe der Kultwert des Bildes die »letzte Zuflucht«. 18 Im »flüchtigen Ausdruck eines Menschengesichts« winke aus den frühen Fotografien die Aura zum letzten Mal. Das sei es, was die »schwermutvolle und mit nichts zu vergleichende Schönheit« ausmache. Wo aber der Mensch aus der Fotografie sich zurückziehe, da trete erstmals der Ausstellungswert dem Kultwert überlegen entgegen.
     
    Das »Menschenantlitz« mit ihrem Kultwert ist heute längst aus der Fotografie verschwunden. Das Zeitalter von facebook und Photoshop macht aus dem »Menschenantlitz« ein face, das ganz in seinem Ausstellungswert aufgeht. Das face ist das ausgestellte Gesicht ohne jede »Aura des Blicks«. 19 Es ist die Warenform des »Menschenantlitzes«. Das face als surface ist transparenter als jenes Gesicht oder Antlitz, das für Emmanuel Lévinas einen ausgezeichneten Ort darstellt, an dem die Transzendenz des Anderen einbricht. Die Transparenz ist eine Gegenfigur der Transzendenz. Das face bewohnt die Immanenz des Gleichen.
     
    In der digitalen Fotografie ist jede Negativität getilgt. Sie bedarf weder der Dunkelkammer noch der Entwicklung. Kein Negativ geht ihr voraus. Sie ist ein reines Positiv. Ausgelöscht ist das Werden, das Altern, das Sterben: »Nicht nur teilt es (das Foto) das Schicksal des (vergänglichen) Papiers, es ist, auch wenn es auf härterem Material fixiert wird, um nichts weniger sterblich: wie ein lebender Organismus wird es geboren aus keimenden Silberkörnchen, erblüht es für einen Augenblick, um alsbald zu altern. Angegriffen vom Licht und von der Feuchtigkeit, verblaßt es, erschöpft es sich und verschwindet [...].« 20 Roland Barthes verknüpft mit der Fotografie eine Lebensform, für die die Negativität der Zeit konstitutiv ist. Sie ist aber an ihre technischen Bedingungen, in diesem Fall, an ihre Analogizität gekoppelt. Die digitale Fotografie geht mit einer ganz anderen Lebensform einher, die sich immer mehr der Negativität entledigt. Sie ist eine transparente Fotografie ohne Geburt und Tod, ohne Schicksal und Ereignis. Das Schicksal ist nicht transparent. Der transparenten Fotografie fehlt die semantische und temporale Verdichtung. So spricht sie nicht.
     
    Der Zeitgehalt des »Es-ist-so-gewesen« ist für Barthes die Essenz der Fotografie. Das Foto legt Zeugnis von dem Gewesenen ab. Daher ist die Trauer seine Grundstimmung. Für Barthes ist das Datum Teil des Fotos, »weil es aufmerken, das Leben, den Tod, das unausweichliche Verschwinden der Generationen überdenken läßt«. 21 Das Datum schreibt ihm die Sterblichkeit, die Vergänglichkeit ein. Zu einem Foto von André Kertész bemerkt Barthes: »[E]s ist möglich, daß Ernest, der kleine Schüler, den Kertész 1931 photographiert hat, heute noch lebt (doch wo? wie? welch ein Roman!).« 22 Die ganz vom Ausstellungswert erfüllte Fotografie von heute weist eine andere Zeitlichkeit auf. Sie ist von der negativitätslosen Gegenwart ohne Schicksal bestimmt, die keine narrative Spannung, keine Dramatik eines »Romans« zulässt. Ihr Ausdruck ist nicht romantisch.
     
    In der ausgestellten Gesellschaft ist jedes Subjekt sein eigenes Werbe-Objekt. Alles bemisst sich an seinem Ausstellungswert. Die ausgestellte Gesellschaft ist eine pornografische Gesellschaft. Alles ist nach außen gekehrt, enthüllt, entblößt, entkleidet und exponiert. Der Exzess der Ausstellung macht aus allem eine Ware, die »ohne jedes Geheimnis dem unmittelbaren Verzehr ausgeliefert ist«. 23 Die kapitalistische Ökonomie unterwirft alles dem Ausstellungszwang. Allein die ausstellende Inszenierung generiert den Wert, jede Eigenwüchsigkeit der Dinge wird aufgegeben. Sie verschwinden nicht im Dunkel, sondern in der Überbelichtung: »Allgemeiner betrachtet, die sichtbaren Dinge enden nicht im Dunkel oder im Schweigen, sondern sie verflüchtigen sich in dem, was sichtbarer als das Sichtbare ist: in der Obszönität.« 24
     
    Der Porno vernichtet nicht nur den Eros, sondern auch den Sex. Die pornografische Ausstellung verursacht eine Entfremdung der sexuellen Lust. Sie macht es unmöglich, die Lust zu leben. Die Sexualität löst sich auf in die weibliche Performance der Lust und die männliche Leistungsschau. Die ausgestellte, zur
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