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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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setzt die Entwicklung zur Post-Politik fort, die einer Entpolitisierung gleichkommt. Sie ist eine Anti-Partei, ja die erste Partei ohne Farbe. Die Transparenz hat keine Farbe. Farben sind dort nicht als Ideologien, sondern nur als ideologiefreie Meinungen zugelassen. Meinungen sind folgenlos. Sie sind nicht so durchgreifend und durchdringend wie die Ideologien. Ihnen fehlt die durchschlagende Negativität. So lässt die heutige Meinungsgesellschaft das bereits Existierende unangetastet. Die Flexibilität der ›Liquid Democracy‹ besteht darin, situativ Farben zu wechseln. Die Piraten-Partei ist eine farblose Meinungspartei. Die Politik weicht der Verwaltung gesellschaftlicher Bedürfnisse, die den Rahmen bereits vorhandener sozioökonomischer Verhältnisse unverändert lässt und darin verharrt. Als Anti-Partei ist die Piraten-Partei nicht in der Lage, einen politischen Willen zu artikulieren und neue gesellschaftliche Koordinaten herzustellen.
     
    Der Transparenzzwang stabilisiert das vorhandene System sehr effektiv. Die Transparenz ist an sich positiv. Ihr wohnt nicht jene Negativität inne, die das vorhandene politisch-ökonomische System radikal in Frage stellen könnte. Sie ist blind gegenüber dem Außen des Systems. Sie bestätigt und optimiert nur das bereits Existierende. Daher geht die Transparenzgesellschaft mit der Post-Politik einher. Ganz transparent ist nur der entpolitisierte Raum. Die Politik ohne Referenz verkommt zum Referendum.
     
    Das allgemeine Verdikt der Positivgesellschaft heißt ›Gefällt mir‹. Es ist bezeichnend, dass facebook sich konsequent weigerte, einen Dislike-Button einzuführen. Die Positivgesellschaft meidet jede Spielart der Negativität, denn diese bringt die Kommunikation ins Stocken. Ihr Wert misst sich allein an der Menge und Geschwindigkeit des Informationsaustausches. Die Kommunikationsmasse erhöht auch ihren ökonomischen Wert. Negative Verdikte beeinträchtigen die Kommunikation. Auf ›Like‹ folgt schneller die Anschlusskommunikation als auf ›Dislike‹. Die Negativität der Ablehnung lässt sich vor allem nicht ökonomisch verwerten.
     
    Transparenz und Wahrheit sind nicht identisch. Die Wahrheit ist insofern eine Negativität, als sie sich setzt und durchsetzt, indem sie alles Andere für falsch erklärt. Mehr Information oder eine Kumulation von Information allein stellt noch keine Wahrheit her. Ihr fehlt die Richtung, nämlich der Sinn. Gerade aufgrund der fehlenden Negativität des Wahren kommt es zur Wucherung und Vermassung des Positiven. Die Hyperinformation und Hyperkommunikation zeugt gerade vom Mangel an Wahrheit, ja vom Mangel an Sein. Mehr Information, mehr Kommunikation beseitigt nicht die grundsätzliche Unscharfe des Ganzen. Sie verschärft sie vielmehr.

AUSSTELLUNGSGESELLSCHAFT
    Walter Benjamin zufolge ist es für die Dinge, die im »Dienste des Kults« stehen, »wichtiger, daß sie vorhanden sind als daß sie gesehen werden«. 17 Ihr »Kultwert« hängt von ihrer Existenz und nicht von ihrer Exposition ab. Die Praxis, sie in einem unzugänglichen Raum abzuschließen, sie dadurch jeder Sichtbarkeit zu entziehen, erhöht ihren Kultwert. So bleiben gewisse Madonnenbilder fast das ganze Jahr über verhangen. Gewisse Götterstatuen in der Cella sind nur den Priestern zugänglich. Die Negativität der Abtrennung (secret, secretus), Abgrenzung und Abschließung ist konstitutiv für den Kultwert. In der Positivgesellschaft, in der die Dinge, alle nun zur Ware geworden, ausgestellt werden müssen, um zu sein, verschwindet ihr Kultwert zugunsten des Ausstellungswertes. Hinsichtlich des Ausstellungswertes ist das bloße Dasein ganz bedeutungslos. Alles, was in sich ruht, bei sich verweilt, hat keinen Wert mehr. Den Dingen wächst nur dann ein Wert zu, wenn sie gesehen werden. Der Ausstellungszwang, der alles der Sichtbarkeit ausliefert, bringt die Aura als »Erscheinung einer Ferne« ganz zum Verschwinden. Der Ausstellungswert macht den vollendeten Kapitalismus aus und lässt sich nicht auf den Marxschen Gegensatz von Gebrauchwert und Tauschwert zurückführen. Er ist kein Gebrauchswert, weil er der Sphäre des Gebrauchs entzogen ist, und kein Tauschwert, weil er keine Arbeitskraft widerspiegelt. Er verdankt sich allein der Produktion der Aufmerksamkeit.
     
    Benjamin weist einerseits darauf hin, dass in der Fotografie der Ausstellungswert den Kultwert auf der ganzen Linie zurückdrängt. Andererseits bemerkt er, dass der Kultwert nicht
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