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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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Ferne eingeschrieben. Sie ist daher weit. So spricht Heidegger von einer »reinen die Ferne aushaltenden Nähe«. 28 Der »Schmerz der Nähe der Ferne« 29 ist aber eine Negativität, die es zu eliminieren gilt. Die Transparenz entfernt alles ins gleichförmig Abstandlose, das weder nahe noch fern ist.

EVIDENZGESELLSCHAFT
    Die Transparenzgesellschaft ist eine lustfeindliche Gesellschaft. Innerhalb der Ökonomie der menschlichen Lust gehören Lust und Transparenz nicht zusammen. Der libidinösen Ökonomie ist die Transparenz fremd. Gerade die Negativität des Geheimnisses, des Schleiers und der Verhüllung stachelt das Begehren an und intensiviert die Lust. So spielt der Verführer mit Masken, Illusionen und Scheinformen. Der Transparenzzwang vernichtet Spiel-Räume der Lust. Die Evidenz lässt kein Verführen, sondern nur ein Verfahren zu. Der Verführer schlägt Wege ein, die umweghaft, verzweigt und verschlungen sind. Und er setzt mehrdeutige Zeichen ein: »Die Verführung stützt sich oft auf mehrdeutige Kodes, was die prototypischen Verführer in der westlichen Kultur zu exemplarischen Vertretern in einer bestimmten Form der Freiheit von Moral macht. Verführer bedienen sich einer mehrdeutigen Sprache, weil sie sich nicht an die Normen der Ernsthaftigkeit und der Symmetrie gebunden fühlen. Die ›politisch korrekten‹ Praktiken hingegen verlangen nach Transparenz und dem Verzicht auf Mehrdeutigkeiten, um die größtmögliche vertragliche Freiheit und Gleichheit zu gewährleisten und somit den traditionellen rhetorischen und emotionalen Nimbus der Verführung ins Leere laufen zu lassen.« 30 Das Spiel mit Mehrdeutigkeit und Ambivalenz, mit Geheimnis und Rätsel erhöht die erotische Spannung. Die Transparenz oder die Eindeutigkeit wäre das Ende des Eros, d.h. die Pornografie. So ist es kein Zufall, dass die heutige Transparenzgesellschaft gleichzeitig eine Pornogesellschaft ist. Auch die Praxis der ›Post-Privacy‹, die im Namen der Transparenz eine schrankenlose gegenseitige Entblößung fordert, ist der Lust gänzlich abträglich.
     
    Wir sind Simmel zufolge »nun einmal so eingerichtet, daß wir nicht nur [...] einer bestimmten Proportion von Wahrheit und Irrtum als Basis unseres Lebens bedürfen, sondern auch einer solchen von Deutlichkeit und Undeutlichkeit im Bilde unserer Lebenselemente«. 31 Demnach nimmt die Transparenz den Dingen jeden »Reiz« und »verbietet der Phantasie, ihre Möglichkeiten darein zu weben, für deren Verlust keine Wirklichkeit uns entschädigen kann, weil jenes eben Selbsttätigkeit ist, die durch kein Empfangen und Genießen auf die Dauer ersetzt werden kann«. Simmel folgert weiter, »daß uns ein Teil auch der nächsten Menschen, damit ihr Reiz für uns auf der Höhe bleibe, in der Form der Undeutlichkeit oder Unanschaulichkeit geboten sein muß«. 32 Die Fantasie ist wesentlich für die Lustökonomie. Ein unverhüllt dargebotenes Objekt schaltet sie aus. Allein ein Rück- und Entzug des Objekts entfacht sie. Nicht der Genuss in Echtzeit, sondern das imaginative Vor- und Nachspiel, der temporale Aufschub vertieft die Lust. Der unmittelbare Genuss, der keinen imaginativen und narrativen Umweg zulässt, ist pornografisch. Auch die hyperreale Überschärfe und Überdeutlichkeit medialer Bilder lähmt und erstickt die Fantasie. Kant zufolge beruht die Einbildungskraft auf dem Spiel. Sie setzt Spiel-Räume voraus, in denen nichts fest definiert und klar umrissen ist. Sie bedarf einer Unscharfe und Undeutlichkeit. Sie ist sich selbst nicht transparent, während die Selbsttransparenz den Verstand auszeichnet. So spielt er auch nicht. Er arbeitet mit eindeutigen Begriffen.
     
    In »Die kommende Gemeinschaft« weist Giorgio Agamben auf das Gleichnis vom Reich des Messias hin, das Benjamin eines Abends Ernst Bloch erzählte: »Ein Rabbi, ein wirklich kabbalistischer, sagte einmal: um das Reich des Frie dens herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein und eine ganz neue Welt fängt an; sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu tun und sein Maß so schwierig zu finden ist, können das, was die Welt angeht, nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias.« 33 Die Dinge werden nur geringfügig verrückt, um das Reich des Friedens herzustellen. Diese minimale Veränderung findet, so bemerkt Agamben, nicht in den Dingen selbst, sondern an ihren »Rändern« statt. Sie
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