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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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ist. Die Gewalt ist der Wahrheit näher als die List. So erzeugt sie mehr ›Evidenz‹. Nietzsche beschwört hier eine freiere Lebensform, die nicht möglich wäre in einer Gesellschaft der Ausleuchtung und Kontrolle. Sie ist frei auch in dem Sinne, dass sie sich weder von dem auf die Symmetrie und Gleichheit pochenden Vertragsdenken noch von der Tauschökonomie bestimmen lässt.
     
    Vom Geheimnis und Dunkel geht nicht selten eine Faszination aus. Gott setze, so Augustinus, Metaphern ein und verdunkle die Heilige Schrift absichtlich, um mehr Lust zu erzeugen: »Diese Dinge werden deshalb wie mit einem figürlichen Mantel überdeckt, damit sie den Verstand des in frommer Gesinnung forschenden Menschen in Übung halten und nicht wertlos erscheinen, wenn sie unverhüllt [nuda] und offen [prompta] dargeboten werden. Gleichwohl wird das, was anderswo offen und handgreiflich [manifeste] gesagt ist, so daß man es leicht in sich aufnimmt, gewissermaßen in unserer Erkenntnis erneuert und schmeckt, so erneuert, süß [dulcescunt], wenn man diese selbe aus der Verborgenheit herausholt. Wenn es auf diese Art versteckt wird [obscurantur], so geschieht das nicht aus Mißgunst gegen die Lernwilligen, sondern es wird dadurch noch mehr herausgestellt, damit man nach ihm noch glühender sich sehne, wenn es sozusagen vorenthalten wird, und das Ersehnte dann mit um so grösserer Freude finde.« 44 Der figürliche Mantel erotisiert das Wort. Er erhebt es zu einem Objekt des Begehrens. Das Wort wirkt verführerischer, wenn es figürlich verkleidet wird. Die Negativität der Verborgenheit macht die Hermeneutik zu einer Erotik. Das Entdecken und Entziffern vollzieht sich als eine lustvolle Enthüllung. Die Information ist dagegen nackt. Die Nudität des Wortes nimmt ihm jeden Reiz. Sie verflacht es. Die Hermetik des Geheimnisses ist keine Diabolik, die es auf jeden Fall zugunsten der Transparenz abzuschaffen gälte. Sie ist eine Symbolik, ja eine besondere Kulturtechnik, die eine Tiefe, wenn auch als Schein, erzeugt.

PORNOGESELLSCHAFT
    Die Transparenz ist nicht das Medium des Schönen. Benjamin zufolge ist eine unlösbare Verkopplung von Verhüllung und Verhülltem unabdingbar für die Schönheit: »Denn weder die Hülle noch der verhüllte Gegenstand ist das Schöne, sondern dies ist der Gegenstand in seiner Hülle. Enthüllt aber würde er unendlich unscheinbar sich erweisen. [...] Nicht anders nämlich ist jener Gegenstand zu bezeichnen, dem im letzten die Hülle wesentlich ist. Weil nur das Schöne und außer ihm nichts verhüllend und verhüllt wesentlich zu sein vermag, liegt im Geheimnis der göttliche Seinsgrund der Schönheit.« 45 Die Schönheit ist insofern unenthüllbar, als sie notwendig an Hülle und Verhüllung gebunden ist. Das Verhüllte bleibt sich selbst gleich nur unter der Verhüllung. Die Enthüllung bringt das Verhüllte zum Verschwinden. So gibt es keine nackte Schönheit: »[I]n der hüllenlosen Nacktheit ist das wesentlich Schöne gewichen und im nackten Körper des Menschen ist ein Sein über aller Schönheit erreicht - das Erhabene, und ein Werk über allen Gebilden - das des Schöpfers. « 46 Schön kann nur eine Form oder ein Gebilde sein. Erhaben dagegen ist die form- und bildlose Nacktheit, der nicht mehr das Geheimnis als Konstitutivum der Schönheit anhaftet. Das Erhabene geht über das Schöne hinaus. Die kreatürliche Nacktheit ist aber alles andere als pornografisch. Sie ist eben erhaben und verweist auf das Werk des Schöpfers. Auch für Kant ist ein Gegenstand dann erhaben, wenn er jede Repräsentation, jede Vorstellung übersteigt. Das Erhabene geht über die Einbildungskraft hinaus.
     
    Die Nacktheit trägt in der christlichen Tradition eine »unauslöschliche theologische Signatur« 47 . Adam und Eva waren, so seine These, vor dem Sündenfall nicht nackt, denn ein »Gnadenkleid«, ein »Lichtkleid« 48 bedeckte sie. Die Sünde beraubte sie ihres göttlichen Kleides. Ganz entblößt, sahen sie sich gezwungen, sich zu bedecken. Die Nacktheit bedeutet demnach den Verlust des Gnadenkleides. Agamben versucht eine Nacktheit zu denken, die frei vom theologischen Dispositiv ist. Dabei verlängert er das Erhabene des nackten Körpers bei Benjamin ins Pornografische. Zu einem pornografischhalbnackten Model bemerkt er: »Ein schönes Gesicht, das lächelnd seine Nacktheit zur Schau stellt, sagt nur eines: ›Willst du mein Geheimnis erfahren? Willst du dir über meine Hülle klar werden? Nun gut, schau
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