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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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her, wenn du dazu fähig bist, betrachte diese völlige, unverzeihliche Geheimnislosigkeit!‹ [...] Und doch ist es diese Entzauberung der Schönheit durch die Nacktheit, diese erhabene und armselige Zurschaustellung des Scheins ohne Geheimnis noch Bedeutung, die dazu bestimmt sind, das theologische Dispositiv zu entschärfen [...].« 49 Der pornografisch zur Schau gestellte nackte Körper ist gewiss »armselig«, aber nicht »erhaben«. Dem Erhabenen, dem Benjamin den schönen Schein entgegensetzt, fehlt jeder Ausstellungswert. Gerade die Ausstellung zerstört die kreatürliche Erhabenheit. Das Erhabene erzeugt einen Kultwert. Alles andere als erhaben ist das pornografisch ausgestellte Gesicht, das mit dem Gegenüber »flirtet«. 50
     
    Undialektisch ist Agambens Entgegensetzung von Dispositiv und freier Nacktheit. Gewalt ist nicht nur das Dispositiv, das dem Gesicht eine Rolle, eine Maske, einen Ausdruck aufzwingt, sondern auch die formlose, pornografische Nacktheit. Nicht erhaben, sondern obszön ist der Körper, der Fleisch wird. Die pornografische Nacktheit ist jener Obszönität des Fleisches benachbart, die, wie Agamben selber bemerkt, das Resultat der Gewalt ist: »Deshalb versucht der Sadist mit allen Mitteln, das Fleisch in Erscheinung treten zu lassen, den Körper des Anderen gewaltsam solche Haltungen und Stellungen einnehmen zu lassen, die seine Obszönität, das heißt den unwiederbringlichen Verlust der Anmut, offenbar machen.« 51
     
    Agambens pornografischer Nacktheit fällt vor allem die Anmut zum Opfer. Ihm erscheint die Anmut (grâce) aufgrund ihres theologischen Ursprungs verdächtig, denn sie ist der Gnade benachbart. Agamben stützt sich auf Sartres These, dass der Körper seine Anmut einer zielgerichteten Bewegung verdankt, die ihn zum Werkzeug macht. Aber schon wegen seiner Fixierung auf den Zweck ist kein Werkzeug anmutig. Es sucht ja sein Ziel unumwunden und greift zu. Der Anmut wohnt dagegen etwas Gewundenes oder Umweghaftes inne. Sie setzt ein freies Spiel der Gebärden und Formen voraus, das eine Handlung gleichsam umspielt und sich der Ökonomie des Zwecks entzieht. So ist die Anmut zwischen zielgerichteter Aktion und obszöner Nacktheit angesiedelt. Agamben entgeht dieses anmutige Zwischen. Auch das Sich-zur-Schau-Stellen bringt die Anmut zum Verschwinden. Der Jüngling in Kleists »Marionettentheater« verliert seine Anmut gerade in dem Moment, in dem er vor dem Spiegel steht und seine Bewegungen eigens zur Schau stellt. Hier entfaltet der Spiegel dieselbe Wirkung wie das Objektiv, in das Agambens Pornodarstellerin keck hineinblickt und nichts anderes mehr ausdrückt als ihr Ausgestelltsein selbst. 52
     
    Agamben begreift die Ausstellung als eine ausgezeichnete Möglichkeit, jene Nacktheit hervortreten zu lassen, die vom theologischen Dispositiv befreit ist, die dadurch, »profaniert«, einem neuen Gebrauch zugänglich wird. Das so ausgestellte geheimnislose Gesicht zeigt nichts anderes vor als das Vorzeigen. Es verbirgt nichts und drückt nichts aus. Es ist gleichsam transparent geworden. Agamben sieht darin einen besonderen Reiz, einen »speziellen Zauber«, der »vom reinen Ausstellungswert ausgeht«. 53 Die Ausstellung entleert das Gesicht zu einem präexpressiven Ort. Agamben erwartet von dieser Praxis der entleerenden Ausstellung eine neue Form erotischer Kommunikation: »Es ist eine allgemein bekannte Erfahrung, daß das Gesicht einer Frau ausdruckslos wird, sobald sie merkt, daß sie angeschaut wird. Das Bewußtsein, einem Blick ausgesetzt zu sein, schafft also eine Leere und wirkt als gewaltiger Auflöser der Prozesse des Ausdrucks, die sonst das Gesicht beleben. Es ist die dreiste Gleichgültigkeit, die Models und Pornostars und die anderen Profis der Ausstel lung vor allem anderen erlernen müssen: nichts anderes vorzeigen als das Vorzeigen (das heißt ihre absolute Medienintegriertheit). Auf diese Weise belädt sich das Gesicht bis zum Platzen mit Ausstellungswert. Aber genau durch dieses Zunichtemachen des Ausdrucks dringt die Erotik dorthin vor, wo sie eigentlich nicht stattfinden könnte, nämlich ins menschliche Gesicht [...]. Ausgestellt als reines Mittel jenseits jeder konkreten Expressivität, wird es verfügbar für einen neuen Gebrauch, für eine neue Form erotischer Kommunikation.« 54 Spätestens hier stellt sich die Frage, ob das mit Ausstellungswert bis zum Platzen beladene Gesicht tatsächlich in der Lage ist, einen »neuen, kollektiven Gebrauch der
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