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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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hin. Platons Höhlengleichnis stellt nicht, wie es gewöhnlich interpretiert wird, unterschiedliche Erkenntnisformen, sondern unterschiedliche Lebensformen dar, nämlich die narrative und die kognitive Lebensform. Platons Höhle ist ein Theater. Das Theater als Welt der Narration wird im Höhlengleichnis der Welt der Erkenntnis gegenübergestellt.
     
    Das Feuer in der Höhle erzeugt als Kunstlicht szenische Illusionen. Es wirft Schein. So unterscheidet es sich vom natürlichen Licht als Medium der Wahrheit. Das Licht ist bei Platon stark gerichtet. Es strömt von der Sonne als seiner Quel le. Alles Seiende ist hingeordnet auf die Sonne als Idee des Guten. Sie bildet eine Transzendenz, die sogar »jenseits des Seins« angesiedelt ist. So wird sie auch »Gott« genannt. Dieser Transzendenz verdankt das Seiende seine Wahrheit. Das Platonische Sonnenlicht ist hierarchisierend. Es errichtet Abstufungen hinsichtlich der Erkenntnis, die von der Welt der bloßen Abbilder über die der sinnlich wahrnehmbaren Dinge bis zur intelligiblen Welt der Ideen reichen.
     
    Platons Höhle ist eine narrative Welt. Die Dinge verketten sich dort nicht kausal. Vielmehr folgen sie einer Dramaturgie oder Szenografie, die narrativ die Dinge oder Zeichen miteinander verkettet. Das Licht der Wahrheit entnarranvisiert die Welt. Die Sonne vernichtet den Schein. Das Spiel der Mimesis und Metamorphosen weicht der Arbeit an Wahrheit. Platon verurteilt jeden Anflug von Verwandlung zugunsten starrer Identität. Seine Mimesiskritik gilt gerade dem Schein und dem Spiel. Platon verbietet jede szenische Darstellung und verweigert sogar dem Dichter den Eintritt in seine Stadt der Wahrheit: »Einem Mann also, wie es scheint, der sich aufgrund seiner Weisheit vielgestaltig zeigen kann und alle Dinge darstellen, wenn uns der selbst in die Stadt käme und auch seine Dichtungen uns darstellen wollte, würden wir Verehrung bezeigen als einem heiligen und bewundernswerten und anmutigen Mann, würden ihm aber sagen, dass ein solcher bei uns in der Stadt nicht sei und auch nicht hineinkommen dürfe, und würden ihn, das Haupt mit vieler Salbe begossen und mit Wolle bekränzt, in eine andere Stadt geleiten [...].« 78 Auch die Transparenzgesellschaft ist eine Gesellschaft ohne Dichter, ohne Verführung und Metamorphose. Es ist ja der Dichter, der die szenischen Illusionen, die Scheinformen, die rituellen und zeremoniellen Zeichen hervorbringt und den hyperrealen, nackten Fakten die Artefakten und Antifakten entgegensetzt.
     
    Die Metapher des Lichtes, die von der Antike übers Mittelalter bis in die Aufklärung den philosophischen und theologischen Diskurs beherrscht, weist eine starke Referenz auf. Das Licht entströmt einer Quelle oder einem Ursprung. Es ist das Medium der verpflichtenden, verbietenden, versprechenden Instanzen wie Gott oder Vernunft. So entwickelt es eine Negativität, die polarisierend wirkt und Gegensätze erzeugt. Licht und Finsternis sind gleichursprünglich. Licht und Schatten gehören zusammen. Mit dem Guten ist auch das Böse gesetzt. Das Licht der Vernunft und das Dunkel des Irrationalen oder des bloß Sinnlichen bringen einander hervor.
    Im Gegensatz zu Platons Welt der Wahrheit fehlt der heutigen Transparenzgesellschaft jenes göttliche Licht, dem eine metaphysische Spannung innewohnt. Transparenz ist ohne Transzendenz. Die Transparenzgesellschaft ist durchsichtig ohne Licht. Sie wird nicht von jenem Licht beleuchtet, das einer transzendenten Quelle entströmt. Die Transparenz entsteht nicht durch eine erhellende Lichtquelle. Das Medium der Transparenz ist kein Licht, sondern eine lichtlose Strahlung, die, statt zu erhellen, alles durchdringt und durchsichtig macht. Im Gegensatz zum Licht ist sie penetrant und penetrierend. Sie wirkt ferner homogenisierend und einebnend, während das metaphysische Licht Hierarchien und Unterscheidungen generiert und dadurch Ordnungen und Orientierungen schafft.
     
    Transparenzgesellschaft ist Informationsgesellschaft. Die Information ist insofern als solche ein Phänomen der Transparenz, als ihr jede Negativität fehlt. Sie ist eine positivisierte, operationalisierte Sprache. Heidegger würde sie eine Sprache des »Ge-Stells« nennen: »Das Sprechen wird herausgefordert, der Bestellbarkeit des Anwesenden nach jeder Richtung zu entsprechen. Das so gestellte Sprechen wird zur Information.« 79 Die Information stellt die menschliche Sprache. Heidegger denkt das »Ge-Stell« vom Beherrsehen her. Die
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