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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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Entblößung arbeitet gegen jede Form der Maske, gegen den Schein.
     
    Auch die zunehmende Entritualisierung und Entnarrativisierung der Gesellschaft entleert sie ihrer Scheinformen und macht sie dadurch nackt. Entscheidend für die Spiele und Rituale sind die objektiven Regeln und nicht die subjektiv-psychischen Zustände. Wer mit anderen spielt, ordnet sich objektiven Spielregeln unter. Die Geselligkeit des Spiels beruht nicht auf der gegenseitigen Selbst-Offenbarung. Menschen werden vielmehr dann gesellig, wenn sie voreinander Distanz wahren. Die Intimität zerstört sie dagegen.
     
    Die Intimgesellschaft misstraut den ritualisierten Gesten und dem zeremoniell geformten Verhalten. Ihr erscheinen sie als äußerlich und inauthentisch. Das Ritual ist eine Handlung aus externalisierten Ausdrucksformen, die ent-individualisierend, ent-personalisierend und entpsychologisierend wirken. Die daran Beteiligten »sind expressiv«, 74 ohne jedoch sich selbst zur Schau stellen oder entblößen zu müssen. Die Intimgesellschaft ist eine psychologisierte, entritualisierte Gesellschaft. Sie ist eine Gesellschaft des Geständnisses, der Entblößung und der pornografischen Distanzlosigkeit.
     
    Die Intimität vernichtet objektive Spielräume zugunsten affektiv-subjektiver Regungen. In dem rituell-zeremoniellen Raum zirkulieren objektive Zeichen. Er lässt sich nicht narzisstisch besetzen. Er ist in gewisser Hinsicht leer und abwesend. Der Narzissmus ist Ausdruck der distanzlosen Intimität zu sich, nämlich der fehlenden Selbst-Distanz. Die Intimgesellschaft wird von narzisstischen Intimsubjekten bewohnt, denen die Fähigkeit szenischer Distanzierung ganz fehlt. Sennett schreibt dazu: »Der Narziß ist nicht auf Erfahrungen aus, er will erleben - in allem, was ihm gegenübertritt, sich selbst erleben. So wertet er jede Interaktion und jede Szene ab [,..].« 75 Narzisstische Störungen nehmen Sennett zufolge deshalb zu, »weil die heutige Gesellschaft ihre inneren Ausdrucksprozesse psychologisch organisiert und den Sinn für sinnvolle soziale Interaktionen außerhalb der Grenzen des einzelnen Selbst unterminiert«. Die Intimgesellschaft beseitigt rituelle, zeremonielle Zeichen, in denen man sich entkäme, sich verlöre. Bei Erfahrungen begegnet man dem Anderen. Bei Erlebnissen dagegen begegnet man überall sich selbst. Das narzisstische Subjekt kann sich selbst nicht abgrenzen. Die Grenzen seines Daseins verschwimmen. Dadurch entsteht auch kein stabiles Selbstbild. Das narzisstische Subjekt verschmilzt so sehr mit sich selbst, dass es nicht möglich ist, mit sich zu spielen. Der depressiv gewordene Narziss ertrinkt in seiner grenzenlosen Intimität zu sich. Keine Leere und Abwesenheit distanziert den Narziss von sich selbst.

INFORMATIONSGESELLSCHAFT
    Platons Höhle ist, genauer besehen, auffällig wie ein Theater aufgebaut. Die dort Gefangenen sitzen wie Theaterzuschauer vor einer Bühne. Zwischen ihnen und dem Feuer hinter ihrem Rücken führt ein Weg hin und entlang des Weges verläuft eine niedrige Mauer, die jenen Schranken ähnelt, »die die Gaukler vor den Zuschauern aufbauen und über die hinweg sie ihre Kunststücke zeigen«. 76 Entlang der Mauer werden allerlei Geräte, Bildsäulen und andere Figuren aus Stein oder Holz vorübergetragen, die über die Mauer hinausragen und ihren Schatten auf die Wand werfen, auf die die Gefangenen gebannt schauen. Einige der Bildträger sprechen und andere wiederum schweigen. Da die Gefangenen sich nicht umdrehen können, denken sie, dass die Schatten selbst sprechen. Platons Höhle ist also eine Art Schattentheater. Die Gegenstände, die auf der Wand ihren Schatten zeigen, sind keine realen Dinge der Welt, sondern allesamt Theaterfiguren und Requisiten. Schatten und Spiegelungen der wirklichen Dinge gibt es ja erst außerhalb der Höhle. Zu jenem Menschen, der aus der Höhle gewaltsam in die Welt des Lichtes hinaufgeführt wird, bemerkt Platon: »Er müsste sich also daran gewöhnen, denke ich, wenn er die Dinge dort oben sehen wollte. Zuerst würde er wohl am leichtesten die Schatten erkennen, dann die Spiegelbilder der Menschen und der anderen Gegenstände im Wasser und dann erst sie selbst.« 77 Die Gefesselten in der Höhle sehen nicht die Schattenbilder der wirklichen Welt. Ihnen wird vielmehr ein Theater vorgeführt. Auch das Feuer ist ein Kunstlicht. Die Gefangenen sind in Wirklichkeit gefesselt von Szenen, von szenischen Illusionen. Sie geben sich einem Spiel, einer Narration
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