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Transparenzgesellschaft

Transparenzgesellschaft

Titel: Transparenzgesellschaft
Autoren: Byung-Chul Han
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Figuren des Stellens wie Bestellen, Vorstellen oder Herstellen sind dementsprechend Figuren der Macht und Herrschaft. Das Bestellen stellt das Seiende zum Bestand. Das Vorstellen stellt es zum Gegenstand. Heideggers »Ge-Stell« erfasst aber jene Formen des Stellens nicht, die gerade für heute charakteristisch sind. Aus-Stellen oder Zur-Schau-Stellen dienen primär nicht dem Machtgewinn. Angestrebt wird nicht Macht, sondern Aufmerksamkeit. Nicht Polemos, sondern Porno liegt ihnen als Antrieb zugrunde. Macht und Aufmerksamkeit sind nicht deckungsgleich. Wer Macht hat, hat den anderen, was das Streben nach Aufmerksamkeit überflüssig macht. Und die Aufmerksamkeit generiert nicht automatisch Macht.
     
    Heidegger nimmt auch das Bild allein aus der Perspektive der Herrschaft in den Blick: »Bild meint [...] jenes, was in der Redewendung herausklingt: wir sind über etwas im Bilde. [...] Sich über etwas ins Bild setzen beißt: das Seiende selbst in dem, wie es mit ihm steht, vor sich stellen und es als so gestelltes ständig vor sich haben.« 80 Das Bild ist für Heidegger das Medium, vermittels dessen man sich des Seienden bemächtigt und seiner habhaft wird. Diese Theorie des Bildes erklärt nicht die medialen Bilder von heute, denn sie sind Simulakren, die kein »Seiendes« mehr repräsentieren. Ihnen liegt nicht die Absicht zugrunde, Seiendes »vor sich [zu] stellen und es als so gestelltes ständig vor sich« zu haben. Als referenzlose Simulakren führen sie quasi ein Eigenleben. Sie wuchern auch jenseits von Macht und Herrschaft. Sie sind gleichsam seiender und lebendiger als das »Seiende«. Die multimediale Informations- und Kommunikationsmasse ist eher eine Ge-Menge als ein »Ge-Stell«. 81
     
    Die Transparenzgesellschaft ist nicht nur ohne Wahrheit, sondern auch ohne Schein. Weder Wahrheit noch Schein sind durchsichtig. Ganz transparent ist nur die Leere. Um diese Leere zu bannen, wird eine Masse an Information in Umlauf gebracht. Die Informations- und Bildmasse ist eine Fülle, in der sich noch die Leere bemerkbar macht. Mehr an Information und Kommunikation allein erhellt die Welt nicht. Die Durchsichtigkeit macht auch nicht hellsichtig. Die Informationsmasse erzeugt keine Wahrheit. Je mehr Information freigesetzt wird, desto unübersichtlicher wird die Welt. Die Hyperinformation und Hyperkommunikation bringt kein Licht ins Dunkel.

ENTHÜLLUNGSGESELLSCHAFT
    Das 18. Jahrhundert war in gewisser Hinsicht der Gegenwart nicht ganz unähnlich. Ihm war schon das Pathos der Enthüllung und Transparenz bekannt. So schreibt Jean Starobinski in seiner Rousseau-Studie: »Das Thema von der Lügenhaftigkeit des Scheins ist nicht mehr originell im Jahr 1748. Auf dem Theater, in der Kirche, in den Romanen oder in den Zeitungen erstattet jeder auf seine Weise Anzeige gegen die Verstellungen, Konventionen, Heucheleien und Masken. Keine Begriffe im Vokabular von Polemik und Satire, die häufiger wiederkehrten als enthüllen und entlarven.« 82 Jean-Jacques Rousseaus »Bekenntnisse« sind charakteristisch für die beginnende Epoche der Wahrheit und des Geständnisses. Er wolle, so heißt es schon zu Beginn der »Bekenntnisse«, einen Menschen in seiner »ganzen Naturwahrheit« (toute la vérité de la nature) zeigen. Sein »Unternehmen«, das ganz »ohne Beispiel« sei, gelte einer schonungslosen Offenbarung des »Herzens«. Rousseau versichert Gott: »Ich habe mich so gezeigt, wie ich war. [...] Ich habe mein Inneres (mon intérieur) entblößt, so wie du selbst es gesehen hast.« 83 Sein Herz hat durchsichtig zu sein wie ein Kristall (transparent comme le cristal). , 84 Das kristallene Herz ist eine Grundmetapher seines Denkens: »Sein gleich einem Kristall durchsichtiges Herz kann nichts von dem verbergen, was in ihm vorgeht, jede Regung, die in ihm aufsteigt, teilt sich seinem Auge und seinem Gesicht mit.« 8 ' Gefordert wird die »Öffnung des Herzen«, »vermöge deren alle Empfindungen, alle Gedanken gemeinsam werden, so daß jeder, indem er sich so fühlt, wie er sein soll, sich allen so zeigt, wie er ist«. 86 Rousseau ruft seine Mitmenschen dazu auf, ihr Herz »mit der gleichen Aufrichtigkeit« zu »enthüllen«. Darin besteht Rousseaus Diktatur des Herzens.
     
    Rousseaus Forderung nach Transparenz kündigt einen Paradigmenwechsel an. Die Welt des 18. Jahrhunderts war noch ein Theater. Sie war voller Szenen, Masken und Figuren. Theatralisch war die Mode selbst. Es bestand kein wesentlicher Unterschied zwischen
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