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Transit

Transit

Titel: Transit
Autoren: Anna Seghers
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Pfeffer. Man sieht sich das Ding näher an, da merkt man, daß es gar nicht mit Kirschen und Rosinen gespickt ist, sondern mit Paprika und Oliven. Man gewöhnt sich daran. Nur leider verlangen sie jetzt auch hier für die Pizza Brotkarten.
    Ich möchte gern wissen, ob die »Montreal« wirklich unterging. Was machen alle die Menschen da drüben, falls sie doch noch ankamen? Ein neues Leben beginnen? Berufe ergreifen? Komitees einrennen? Den Urwald roden? Ja, wenn es sie wirklich da drüben gäbe, die vollkommene Wildnis, die alle und alles verjüngt, dann könnte ich fast bereuen, nicht mitgefahren zu sein. – Ich hatte nämlich durchaus die Möglichkeit mitzufahren. Ich hatte eine bezahlte Karte, ich hatte ein Visum, ich hatte ein Transit. Doch zog ich es plötzlich vor, zu bleiben.
    Auf dieser »Montreal« gab es ein Paar, das ich einmal flüchtig gekannt habe. Sie wissen ja selbst, was es auf sich hat mit solchen flüchtigen Bekanntschaften in den Bahnhöfen, in den Warteräumen der Konsulate, auf der Visaabteilung der Präfektur. Wie flüchtig ist das Geraschel von ein paar Worten, wie Geldscheine, die man in Eile wechselt. Nur manchmal trifft einen ein einzelner Ausruf, ein Wort, was weiß ich, ein Gesicht. Das geht einem durch und durch, rasch und flüchtig. Man blickt auf, man horcht hin, schon ist man in etwas verwickelt. Ich möchte gern einmal alles erzählen, von Anfang an bis zu Ende. Wenn ich mich nur nicht fürchten müßte, den andern zu langweilen. Haben Sie sie nicht gründlich satt, diese aufregenden Berichte? Sind Sie ihrer nicht vollständig überdrüssig, dieser spannenden Erzählungen von knapp überstandener Todesgefahr, von atemloser Flucht? Ich für mein Teil habe sie alle gründlich satt. Wenn mich heute noch etwas erregt, dann vielleicht der Bericht eines Eisendrehers, wieviel Meter Draht er schon in seinem langen Leben gedreht hat, mit welchen Werkzeugen, oder das runde Licht, an dem ein paar Kinder Schulaufgaben machen.
    Geben Sie acht mit dem Rosé! Er trinkt sich, wie er aussieht: wie Himbeersaft. Sie werden unglaublich heiter. Wie leicht ist alles zu tragen. Wie leicht alles auszusprechen. Und dann, wenn Sie aufstehn, zittern Ihnen die Knie. Und Schwermut, ewige Schwermut befällt Sie – bis zum nächsten Rosé. Nur sitzen bleiben dürfen, nur nie mehr in etwas verwickelt werden.
    Ich selbst war früher leicht in Sachen verwickelt, über die ich mich heute schäme. Nur ein wenig schäme – sie sind ja vorbei. Ich müßte mich furchtbar schämen, wenn ich die andren langweilte. Ich möchte trotzdem einmal alles von Anfang an erzählen.
II
    Ende des Winters geriet ich in ein Arbeitslager in der Nähe von Rouen. Ich geriet in die unansehnlichste Uniform aller Armeen des Weltkrieges: in die des französischen »Prestataires«. Nachts schliefen wir, weil wir Ausländer waren, halb Gefangene, halb Soldaten, hinter Stacheldraht, tags machten wir »Arbeitsdienst«. Wir mußten englische Munitionsschiffe ausladen. Wir wurden furchtbar bombardiert. Die deutschen Flugzeuge kamen so tief, daß ihre Schatten uns streiften. Damals verstand ich, warum man sagt: unter dem Schatten des Todes. Einmal lade ich mit einem Jungen aus, er heißt Fränzchen, sein Gesicht ist so weit von meinem weg wie jetzt Ihres. Es ist sonnig, es rauscht in der Luft. Da hebt das Fränzchen sein Gesicht. Da sticht es schon tief herunter. Sein Gesicht wird schwarz von dem Schatten. Tschuk, es schlägt neben uns ein. Sie kennen das alles genau so gut wie ich selbst. Schließlich hatte auch alles sein Ende. Die Deutschen näherten sich. Was galten jetzt noch die ausgestandenen Schrecken und Leiden? Der Untergang der Welt stand bevor, morgen, heute nacht, sofort. Denn etwas Ähnliches, glaubten wir alle, sei die Ankunft der Deutschen.In unserem Lager begann der Hexentanz. Manche weinten, manche beteten, mancher versuchte, sich das Leben zu nehmen, manchem gelang es. Manche beschlossen, sich aus dem Staub zu machen, aus dem Staub vor dem Jüngsten Gericht! Aber der Kommandant hatte Maschinengewehre vor das Tor unseres Lagers gepflanzt. Wir stellten ihm ganz umsonst dar, die Deutschen würden uns, ihre aus Deutschland geflohenen Landsleute, alle sofort zusammenknallen. Doch er verstand nur, empfangene Befehle weiterzugeben. Nun wartete er auf Befehle, was mit dem Lager geschehen sollte. Sein Chef war längst selbst getürmt, unser Städtchen war evakuiert, aus den Nachbardörfern waren die Bauern schon geflohen – waren die
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