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Transit

Transit

Titel: Transit
Autoren: Anna Seghers
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Place de la Concorde in dem amerikanischen Konsulat bestätigt. Die beste Freundin meiner Schwester ist verlobt mit einem Seidenhändler aus Lyon. Der hat mir auch die Post gebracht. Er fährt in seinem Auto zurück, er nimmt mich mit. Er braucht für sein Auto nur eine Gesamterlaubnis mit Angabe der Personenzahl. Auf diese Weise umgeh ich den deutschen Saufconduit.«
    Ich sah auf seine rechte Hand, auf die man damals getreten hatte. Der Daumen war ein wenig verschrumpelt. Das Paulchen schlug seinen Daumen ein. »Wie bist du denn nach Paris gekommen«, fragte ich. Er erwiderte: »Durch ein Wunder. Wir zogen zu dritt ab, Hermann Achselroth, Ernst Sperber und ich. Den Achselroth kennst du doch sicher? Seine Theaterstücke?« Ich kannte sie nicht, aber ich kannte den Achselroth. Ein ausnehmend schöner Bursche, der besser in eine Offiziersuniform gepaßt hätte als in die verdreckten Prestatairesfetzen, die er trug wie ein Landsknecht. Er sei berühmt, versichertePaul. Sie seien zu dritt bis nach L. gekommen. Sie seien schon ziemlich kaputt gewesen. Sie seien an einen Kreuzweg gekommen. Ein echter Kreuzweg, versicherte Paulchen lächelnd – er gefiel mir jetzt gut, ich war sehr froh, mit ihm zusammen zu sitzen, er immer noch lebend, ich immer noch lebend –, ein echter Kreuzweg mit einem verlassenen Gasthaus. Sie hätten sich auf die Treppe gesetzt, da sei ein französisches Militärauto vorgefahren, vollgepfropft mit Heeresgut. Der Chauffeur habe plötzlich alles abgeladen, sie hätten zu dritt zugesehen. Auf einmal sei Achselroth zu dem Chauffeur hinübergegangen, er habe mit ihm geschwätzt, worauf sie kaum achtgegeben hätten. Dann sei dieser Achselroth plötzlich in das Auto geklettert, er sei abgerauscht, er habe ihnen nicht einmal mehr zugewinkt, der Chauffeur aber sei zu Fuß auf dem anderen Arm des Kreuzwegs in das nächste Dorf gegangen. – »Wieviel mag er ihm dafür gegeben haben?« fragte ich. »Fünftausend? Sechstausend?« – »Du bist verrückt! Sechstausend! Für ein Auto! Noch dazu ein Militärauto! Und dann noch die Ehre des Chauffeurs! Das war doch noch außer dem Autoverkauf. Verlassen im Dienst, das war doch noch Landesverrat! Mindestens sechzehntausend! Wir hatten natürlich keine Ahnung, daß Achselroth soviel Geld in der Tasche hatte. Ich sage dir, keinen Blick hat er uns mehr zugeworfen. Wie furchtbar war das alles, wie gemein.« – »Nicht alles war gemein, nicht alles war furchtbar. Erinnerst du dich an Heinz, den Einbeinigen? Dem haben sie damals über die Mauer geholfen. Sie sind auch immer zusammengeblieben, sicher, sie haben ihn geschleppt, sie schleppten ihn ins Unbesetzte.« – »Sind sie denn entkommen?« – »Das weiß ich nicht.« – »Ne, Achselroth, der ist angekommen. Der ist sogar schon auf dem Schiff, unterwegs nach Kuba.« – »Nach Kuba? Achselroth? Warum?« – »Wie kannst du noch warum fragen? Er nahm sich das erste beste Visum, das erste beste Schiff.« – »Wenn er mit euch beiden geteilt hätte, Paulchen, dann hätte er sich ja kein Auto kaufen können.«Die ganze Geschichte belustigte mich durch ihre unnachahmliche Klarheit. »Was hast du denn vor?« fragte das Paulchen. »Was hast du für Pläne?« Ich mußte ihm eingestehen, daß ich mir keine Pläne gemacht hatte, daß mir die Zukunft nebelhaft war. Er fragte mich, ob ich einer Partei angehöre. Ich erwiderte nein, ich sei auch ohne Partei damals in Deutschland ins KZ geraten, weil ich mir auch ohne Partei manche Schweinerei nicht gefallen ließ. Ich sei denn auch aus dem ersten, dem deutschen KZ entflohen, denn wenn schon mal krepiert werden mußte, dann doch nicht hinter Stacheldraht. Ich wollte ihm auch erzählen, wie ich damals über den Rhein geschwommen war bei Nacht und Nebel, doch rechtzeitig fiel mir noch ein, wieviel Menschen inzwischen über wieviel Flüsse geschwommen waren. Ich unterdrückte diese Geschichte, um ihn ja nicht zu langweilen.
    Ich hatte die Annette Binnet längst allein heimfahren lassen. Ich glaubte, Paul wolle den Abend mit mir verbringen. Er schwieg und musterte mich auf eine Art, aus der ich nicht klug wurde. Er sagte schließlich in verändertem Ton: »Ach, hör doch mal. Du könntest mir einen enormen Gefallen tun. Willst du?« Ich wunderte mich, was er plötzlich von mir verlangen könne. Gewiß, ich war bereit. »Die Freundin meiner Schwester, von der ich vorhin gesprochen habe, dieselbe, die mit dem Seidenhändler verlobt ist, der mich im Auto mitnehmen will, hat zu dem
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