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Träume jenseits des Meeres: Roman

Träume jenseits des Meeres: Roman

Titel: Träume jenseits des Meeres: Roman
Autoren: Tamara McKinley
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ihrer eigenen Sprache, bezweifelte aber nicht, dass Susan ihn verstehen würde.
    Schweigend standen sie eine Weile voreinander, dann trat Lowitja zurück und machte sich auf den Weg ins Buschlager, ohne sich noch einmal umzudrehen. Der Stamm würde morgen früh mit dem ersten Tageslicht aufbrechen, und bis dahin war noch viel zu tun. Die alten Geister mussten besänftigt werden, Garnday war für ihre große Weisheit in diesen schlimmen Zeiten zu segnen, denn sie war Lowitja im Traum erschienen und hatte ihr gesagt, sie müssten ihren geheiligten Traumplatz verlassen und ins Land der Turrbal und des Honigbienentraums ziehen.
    Tahiti, August 1793
    Fassungslos starrte Tahamma auf den Dolch, den seine Frau ihm geschenkt hatte. Er war fünf Monate unterwegs gewesen, und obwohl das Perlentauchen sehr erfolgreich gewesen war, freute er sich, wieder zu Hause zu sein. Sein Willkommensgeschenk war ganz hübsch, doch er sah die stumpfe Klinge und die bunten Glasstücke, die sich bereits vom Griff lösten. »Was hast du dagegen eingetauscht?«, fragte er beiläufig.
    Solannis frohe Miene verdunkelte sich. »Gefällt er dir nicht?«
    Tahamma steckte das Messer wieder in die Scheide und spürte, wie leicht es war. »Es wird zerbrechen, wenn ich versuche, Fisch damit auszunehmen oder Austern aufzustemmen«, erwiderte er. Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, und ihm fiel auf, dass sie ihm auswich – und das beunruhigte ihn. »Wie bist du daran gekommen?«
    »Ich habe es von einem der Händler am Strand«, murmelte sie vor sich hin. Sie nahm ihr jüngstes Kind auf den Arm und machte sich an dessen Haar zu schaffen.
    Tahamma betrachtete sie prüfend, und sein Verdacht verstärkte sich. Mit zwei Schritten durchmaß er die Hütte und grub im Sand. Die Zinndose war noch da, und im ersten Moment fiel die Sorge von ihm ab. Doch als er sie öffnete, war sie leer. Er drehte sich zu Solanni um. »Wo ist die Uhr?« Seine Stimme war gefährlich ruhig.
    Solanni fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und schaute zur Seite. »Ich … ich …« Sie verstummte.
    Er packte ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Du hast sie gegen das Messer eingetauscht.« Die Worte kamen wie ein Peitschenschlag.
    Sie nickte, und eine Träne rann ihr über die Wange. »Aber das Messer ist nützlich«, platzte es aus ihr heraus. »Das alte Ding ist immer in der Dose, und du machst nie etwas damit. Ich dachte, du hättest nichts dagegen.«
    »Und ob ich etwas dagegen habe!«, brüllte er. Tahamma warf die leere Dose in die Ecke. »Es stand dir nicht zu, sie wegzugeben.« Plötzlich fiel ihm auf, dass er seine Kinder erschreckt hatte; sie hatten bei seinem ungewohnten Tobsuchtsanfall angefangen zu weinen. Er mäßigte seinen Ton. »Der letzte Wunsch meiner Mutter war, dass ich sie behalte«, sagte er leise, vor Zorn bebend. »Meine Tante wurde dafür umgebracht – und du gibst sie für ein billiges, hässliches Stück Zinn her, das zu nichts zu gebrauchen ist.«
    Solanni schaute dumpf zu ihm auf, und Tränen liefen ihr über die Wangen.
    »Die Uhr war das einzige Andenken an meine verstorbene Mutter und den Mann, der mich gezeugt hat. Meine Tante hat einen heiligen Eid geschworen, sie für mich aufzuheben, und ich habe dem heiligen Geist meiner Mutter versprochen, sie für unsere Kinder, deren Kinder und die zukünftigen Generationen unserer Familie zu bewahren.«
    »Es tut mir leid, Tahamma«, schluchzte sie. »Das war mir nicht klar.«
    Er sah sie empört an. »Ich habe es dir vor unserer Hochzeit erklärt«, fuhr er sie an. »Aber meine Familientradition war dir offenbar gleichgültig.« Er warf den Dolch in den Sand. »Du wirst unsere Hütte verlassen«, sagte er kalt.
    »Aber wohin soll ich denn gehen?« Panik trat in ihren Blick, und sie streckte die Hände nach ihm aus. »Bitte, verbanne mich nicht.«
    Tahamma richtete sich hoch auf, von ihrer flehentlichen Bitte unbeeindruckt. »Du hast deine Schwestern und deine Eltern, die dich aufnehmen werden«, sagte er. »Ich werde dir sagen, wann ich dir verziehen habe.«
    Er rührte keinen Finger, um ihr zu helfen, als sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammensuchte und die Kinder aus der Hütte hinaus ins Sonnenlicht führte. Es würde lange dauern, bis er ihr verziehen hatte, und auch dann würde er nie vergessen, dass sie alles verraten hatte, was ihm heilig war. Der Verlust der einzigen Verbindung zu seiner verstorbenen Mutter und der Bruch seines heiligen Eides schmerzten ihn unsäglich.
    Sydney, August
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