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Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)

Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)

Titel: Träume der Dunkelheit: Erzählungen (German Edition)
Autoren: Christine Feehan
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kauern wie ein Kind. Sie wusste doch, dass das nichts nützte. Irgendjemand musste sich den Ungeheuern dieser Welt entgegenstellen und etwas unternehmen. Es war der pure Luxus herumzusitzen, zu weinen und sich in Selbstmitleid und Furcht zu suhlen. Sie schuldete ihrer Familie mehr als das, erheblich mehr. Damals hatte sie sich versteckt wie ein Kind, das sie ja auch gewesen war, und obwohl sie die Schreie und flehentlichen Bitten gehört und das Blut unter der Tür hatte hindurchlaufen sehen, war sie nicht aus ihrem Versteck gekommen, um der Bestie entgegenzutreten. Stattdessen hatte sie sich nur noch mehr zusammengekauert und sich die Ohren zugehalten. Aber die Geräusche ließen sich nicht ausblenden. Damals nicht und heute nicht. Sie würde sie für den Rest ihres Lebens hören.
    Langsam brachte Sara ihre Muskeln unter Kontrolle und zwang sie, ihre Arbeit wieder aufzunehmen und ihr Gewicht zu tragen, als sie sich widerwillig auf die Beine zog. Dann wusch sie sich mit dem Schweiß vom Laufen auch die Angst vom Körper. Wieder einmal kam es ihr so vor, als wäre sie fast ihr Leben lang davongelaufen. Sie lebte in den Schatten und kannte auch die Dunkelheit sehr gut. Sara schäumte ihr dichtes Haar ein und fuhr mit den Fingern hindurch, um es einigermaßen zu entwirren. Das heiße Wasser half ihr, ihre Schwäche zu überwinden. Sie wartete, bis sie wieder atmen konnte. Erst dann trat sie aus der Duschkabine und hüllte sich in ein dickes Handtuch.
    Sie blickte sich im Spiegel an. Ihr Gesicht bestand fast nur aus Augen, die von einem solch dunklen violetten Blau waren, dass sie an die Farbe von Stiefmütterchen erinnerten. Saras Hand pochte, und sie betrachtete sie überrascht. Die Haut darauf war bis zum Handgelenk aufgerissen. Allein sie anzusehen ließ sie schon wie Feuer brennen. Sara wickelte ein Handtuch darum und ging auf bloßen Füßen in ihr Schlafzimmer. Nachdem sie eine bequeme seidene Hose mit Durchziehband und ein Trägertop angezogen hatte, ging sie in die Küche und brühte sich eine Tasse Tee auf.
    Das Ritual brachte zumindest wieder einen Anschein von Frieden und Normalität in Saras Welt. Sie lebte und atmete. Außerdem waren da immer noch die Kinder, die sie dringend brauchten, und die Pläne, die sie schon so lange schmiedete. Die Formalitäten waren fast alle erledigt, sodass ihr Traum in greifbare Nähe gerückt war. Monster gab es überall, in jedem Land, in jeder Stadt und sämtlichen sozialen Schichten. Sie lebte unter den Reichen und fand die Monster dort. Sie bewegte sich unter den Armen, und auch dort waren sie. Das wusste sie inzwischen. Mit dem Wissen konnte sie leben, aber sie war auch fest entschlossen zu retten, wen sie retten konnte.
    Sara fuhr sich mit einer Hand durch ihr kinnlanges kastanienbraunes Haar und schüttelte es, damit es schneller trocknete. Die Teetasse in der Hand, trat sie wieder auf ihre winzige Veranda hinaus und setzte sich auf die Schaukel, ein Luxus, auf den sie nicht verzichten mochte. Das nieselnde Geräusch des Regens war beruhigend, die leichte Brise in ihrem Gesicht sehr angenehm. In vorsichtigen kleinen Schlucken trank sie den Tee und ließ die wohltuende Stille die Furcht in ihr bezwingen. Jede ihrer Erinnerungen holte Sara wieder hervor, um dann hinter jeder einzelnen die Tür schließen zu können. Sie hatte gelernt, dass es Dinge gab, die man am besten ruhen ließ, Erinnerungen, die nie wieder hervorgeholt zu werden brauchten.
    Geistesabwesend starrte sie in den Nieselregen hinaus. Die Tropfen fielen leise auf die Blätter der Sträucher und schimmerten wie Silber in der dunklen Nacht. Das Geräusch von Wasser war schon immer ein beruhigendes für sie gewesen. Sara liebte die Ozeane, Flüsse, Seen und alles, was in irgendeiner Weise Wasser mit sich führte. Der Regen dämpfte den Straßenlärm, verminderte die schrillen Geräusche des Verkehrs und ließ die Illusion entstehen, weit entfernt vom Zentrum der Stadt zu sein. Illusionen wie diese hielten Sara bei Verstand.
    Seufzend stellte sie die Tasse auf den Rand der Veranda und erhob sich, um auf der kleinen Terrasse auf und ab zu gehen. Sie würde heute Nacht keinen Schlaf finden, das wusste sie. In eine Decke gehüllt, würde sie auf ihrer Schaukel sitzen und zusehen, wie die Nacht dem Morgengrauen wich. Ihre Familie war zu nahe, egal, wie sorgfältig sie ihre Erinnerungen weggeschlossen hatte. Sie waren Gespenster, die ihre Welt heimsuchten. Sara würde ihnen noch diese eine Nacht geben und sie dann
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