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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel
Autoren: Franziska Gehm
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lag und vielleicht verblutete.
     Stellen Sie sich doch nur vor: Wenn sie nun gestorben wäre, ganz alleine, nackt auf einem See, voller Schmerzen. Ich   ... ich wollte ihr beistehen. Vielleicht konnte ich etwas für sie tun, Erste Hilfe oder einfach nur da sein. Also bin ich
     zur Badeinsel geschwommen und habe mich hochgezogen. Den Anblick werde ich nie mehr aus dem Kopf bekommen, so sehr ich es
     auch versuche. Ihr Gesicht war die einzige Stelle, die nicht voller Blut war. Es sah jung aus, unschuldig, wie von einem Engel.
     Sie sah aus, als ob sie schlief. Aber der Rest   ... am liebsten hätte ich sie zugedeckt. So etwas, Herr Inspektor, vertragen keine Augen. Unvorstellbare Schmerzen muss sie
     erlitten haben. Der ganze Körper bestand nur noch aus Hautfetzen und Blut. Ich   ... ich konnte nicht hinsehen. Ich habe so getan, als würde es den Rest des Körpers nicht geben, mich neben ihren Kopf gehockt
     und den Puls gefühlt. Er war schwach, aber da.
    F: Und was haben Sie auf der Badeinsel gemacht, bis die Rettung kam?
    A: Ich habe ihre Hand gehalten. Und mit ihr geredet. Dachte, das hält sie am Leben.
    F: Hat sie irgendeine Reaktion gezeigt?
    A: Nein, leider nicht. Es ist seltsam, aber ich hatte fast das Gefühl, sie hatte Angst vor mir oder wollte nicht, dass ich
     da bin.
    F: Wie kommen Sie darauf?
    A: Na ja, eben wieder nur so ein Gefühl, Herr Polizeirat. Kann es nicht begründen. Ich bin ein lausiger Zeuge, was?
    F: Keine Angst, ich hatte schon lausigere. War sonst irgendetwas auf der Badeinsel? Irgendwelche Gegenstände?
    A: Nichts, soweit ich mich erinnern kann.
    F: Ist Ihnen am Ufer irgendetwas aufgefallen?
    A: Schwer zu sagen. Ich war ja vollkommen durcheinander wegen dem Mädchen auf der Badeinsel. Gesehen habe ich niemanden, falls
     Sie das meinen.
    F: Hatten Sie das Gefühl, beobachtet zu werden?
    A: Manchmal hat es im Schilf geraschelt. Oder das Wasser hat sich gekräuselt. Da macht man sich seine Gedanken. Aber wie gesagt,
     ich habe niemanden gesehen.
    F: Was passierte dann?
    A: Dann kamen auch schon der Krankenwagen unddie Streife. Die Wasserwacht hat das Mädchen mit einem Boot und so einer Trage von der Badeinsel geholt. Na ja, und da hatte
     ich jetzt nicht mehr so viel zu melden. Wenn Experten am Werk sind, da sag ich mir immer, die soll ’n mal machen. Erst da
     habe ich gemerkt, wie mich das Ganze mitgenommen hat. Ich konnte kaum einen vollständigen Satz sagen, als Ihre Kollegin von
     der Streife dann meine Personalien aufgenommen und mich befragt hat. Eine sehr nette junge Dame übrigens.
    F: Was haben Sie gemacht, nachdem meine nette junge Kollegin Sie befragt hat?
    A: Nach Schwimmen war mir dann nicht mehr, das können Sie mir glauben. Ich hab meinen Drahtesel nach Hause geschoben.
    F: Ist Ihnen auf dem Hinweg zum See oder auf dem Rückweg jemand begegnet?
    A: Auf dem Hinweg habe ich niemanden gesehen. Ganz sicher. Ich erinnere mich, dass ein Hund gebellt hat. Aber das hörte sich
     ziemlich weit weg an. Und auf dem Rückweg   ... Tut mir leid, aber da war ich so in Gedanken, da habe ich um mich herum nichts mehr mitbekommen.
    F: Danke, Herr Ludwig. Das war ’s schon.
    A: Darf ich Sie auch kurz etwas fragen?
    F: Nur zu.
    A: Sind Sie dem Kerl schon auf der Spur?
    F: Das ist unser Job.
    A: Wenn Sie mich fragen: Der Kerl ist vollkommen meschugge. Einer mit so einem spirituellen Wahn.
    F: Wieso das?
    A: Ich sehe das so: Ein Dieb klaut. Ein Sexualtäter vergewaltigt. Ein Mörder tötet. Aber was dem Mädchen angetan wurde, hat
     damit nichts zu tun. Wer ein wehrloses, junges Ding so zurichtet und womöglich dem langsamen, qualvollen Tod weiht, der ist
     abgrundtief böse und unheilbar krank im Kopf.
    F: Das mag sein. Aber wie kommen Sie ausgerechnet auf den spirituellen Wahn?
    A: Dieses Bild, wie das Mädchen halb tot auf der Badeinsel lag, taucht immer wieder in meinem Kopf auf. Und bei diesem Bild
     habe ich immer einen Gedanken: Er hat das Mädchen wie eine Opfergabe auf die Insel gelegt.
    F: Interessant. Vielen Dank für diesen Hinweis, Herr Ludwig.
    A: Doch eine Selbstverständlichkeit, Herr Polizei...
    F:   ... Sälzer, mein Name. Wir melden uns bei Ihnen, sollten noch Fragen auftauchen.
    ***
    Sälzer hielt eine Salzstange zwischen Daumen und Zeigefinger. Ab und zu biss er gedankenverloren davon ab oder hielt sie nur
     kurz an den Mund.
    Wie eine Opfergabe,
hatte Herr Ludwig den Anblick von Flora Duve in der Nacht oder besser den frühen Morgenstunden auf der Badeinsel
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