Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel
Autoren: Franziska Gehm
Vom Netzwerk:
machte die Beine schwer, verlangsamte die Schritte. Etwas ließ die Stimmen flüstern, die Blicke ruhelos und
     kalt werden. Etwas hatte sich wie ein schwerer, alter, lähmender Mantel über sie alle gelegt. Auf einmal wusste Trixi, was
     es war. Sie konnte es riechen.
    Es war Angst.

3.   Kapitel
    Zeugenvernehmung von Jürgen Ludwig
     
    Zur Person
    Name: Ludwig
    Vorname: Jürgen
    Geb. Datum: 15.   3.   42
    Beruf: Rentner
    Wohnort: Telpen
    Adresse: Ahornweg 6
     
    Vernommen im Fall der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von Flora Duve. (Vernehmung durchgeführt von Polizeihauptmeister
     Sälzer)
     
    Zur Sache
    F: Herr Ludwig, bitte schildern Sie, was Sie in der Nacht vom 2. auf den 3.   Juli am Telpener See vorgefunden haben.
    A: Wissen Sie, das ist keine Nacht, an die ich mich gerne erinnere.
    F: Verständlich, aber tun Sie es einfach bitte.
    A: Tja, na ja, ich gehe ja immer morgens schwimmen, Herr Kommissar. Also habe ich mich auf meinen Drahtesel geschwungen und
     bin zum See gefahren.
    F: Wann kamen Sie am See an?
    A: Ich bin Punkt 3   Uhr losgefahren, also muss ich ungefähr 3:10   Uhr am See gewesen sein.
    F: Um die Uhrzeit wollten Sie schwimmen gehen?
    A: Ja. Ich   ... ich hatte Schlafprobleme. Jetlag. Meine Frau und ich, wir waren zwei Wochen in der Dominikanischen Republik. Spitzenhotel.
     Doller Strand   ...
    F: Seit wann sind Sie wieder hier?
    A: Seit vier Tagen, nein, warten Sie, seit fünf Tagen.
    F: Ist ein hartnäckiger Jetlag.
    A: Korrekt.
    F: Sie kamen also gegen 3:10   Uhr am Telpener See an. Was passierte dann?
    A: Ich hab meinen Drahtesel an Ellas Kiosk abgestellt. Diese Pappbude, kennen Sie vielleicht. Und wissen Sie, was das Komische
     ist? Da habe ich schon gespürt, dass etwas nicht stimmt. Ich hatte auf einmal so ein Gefühl   ... ein ganz schlechtes eben.
    F: Wieso? Wodurch wurde es ausgelöst?
    A: Ich sage Ihnen doch: Es war so ein Gefühl. Als ob man die Anwesenheit von einem anderenMenschen spürt. Alles war ganz still. Und dann der Vollmond   ... Ich kriege jetzt noch Muffensausen, Herr Inspektor.
    F: Sie standen also am Kiosk. Und dann?
    A: Dann habe ich mich umgedreht. Mein Blick fiel sofort auf den See. Und die Badeinsel. Das ging gar nicht anders. Das war
     wie ein Magnet. Und da lag sie dann.
    F: Es war mitten in der Nacht. Wie konnten Sie etwas erkennen?
    A: War ja Vollmond. Der Körper hat ganz hell geleuchtet. Mitten auf der Badeinsel. Im ersten Moment dachte ich, Jürgen, dachte
     ich, jetzt geht ’s los. Jetzt spielen sie verrückt, die kleinen Zellen da oben in deiner Omme. Guckst zu viele Krimis. Ich
     hab geblinzelt, hab ja gehofft, dass ich mir alles nur einbilde. Denn so eine Einbildung ist schlimm genug, aber ein echtes
     Mädchen wäre noch viel schlimmer. Tja, aber das nackte Mädchen auf der Badeinsel verschwand nicht. Als mir das klar wurde,
     als mir klar wurde, dass da ein richtiger Mensch lag, bin ich beinahe aus den Latschen gekippt. Und wie die so dalag   ... das sah irgendwie bizarr aus. Also, verstehen Sie mich nicht falsch, es sah nicht schön aus, aber doch wie   ... wie ein Kunstwerk. Wie dieses Bild von Leonardo da Vinci, wissenSie, wo so ein Mensch im Kreis dargestellt ist.
    F: Der vitruvianische Mensch.
    A: Ach, heißt das so?
    F: Wenn ich Sie also richtig verstehe, hatte das Mädchen die Arme und Beine wie ein V von sich gestreckt?
    A: Korrekt. Das schlechte Gefühl, das ich hatte, wurde immer schlechter. Als ob man schon weiß, etwas Furchtbares kommt auf
     einen zu, aber das Hirn weigert sich, es zu begreifen. Und dann   ... dann hab ich das Blut gesehen. Es war überall. Überall auf ihrem Körper. Es war schrecklich. Erst stand ich einfach nur
     da und starrte auf den See. Ich konnte nicht mehr denken. Da war wie so eine Blase in meinem Kopf. So etwas hatte ich noch
     nie. Ich habe ja auch noch nie so etwas erlebt, wissen Sie.
    F: Sie standen also eine Weile beim Kiosk. Und dann?
    A: Ich wusste, dass ich schnell etwas unternehmen musste. Ich habe mein Mobiltelefon aus dem Gefrierbeutel gefummelt. Meine
     Hände haben gezittert. Beinahe wäre es mir ins Wasser gefallen. Ich hab dann 112 angerufen. Sogar dabei hab ich mich erst
     mal vertippt. Na ja, wichtig ist nur, was hinten rauskommt, nicht wahr? In dem Momenthabe ich erst richtig verstanden, wozu diese Handys da sind.
    F: Danach haben Sie also auf die Rettung gewartet?
    A: Wo denken Sie hin! Ich konnte doch nicht einfach rumstehen, während das Mädchen auf der Badeinsel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher