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Traenenengel

Traenenengel

Titel: Traenenengel
Autoren: Franziska Gehm
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sich hin, als er sich an den Namen erinnerte. Er stritt damals alles ab. Wer würde das
     nicht? Er bekam sechs Jahre. Unterrichten würde er nie mehr.
    Hätte Amelie damals nicht geredet, würde er heute noch vor einer Klasse stehen. Hätte Flora nicht geredet – wäre Hagen Gerlinger
     dann mit Trixi zum See gegangen und   ...?
    Sälzer fuhr sich mit der Zunge über einen Backenzahn. Sie hatten Hagen Gerlinger verhaftet.Flora Duve hatte ihn mit ihrer Aussage eindeutig der Tat beschuldigt. Wieso hatte er dann immer noch das Gefühl, etwas Entscheidendes
     zu übersehen?
    Sälzer spukte aus, warf die Salzstange in ein Gebüsch und ging zügig zur Polizeiwache zurück.

20.   Kapitel
    »Ich warte unten«, sagte Trixi in die Türsprechanlage, die vor ein paar Tagen im Haus in der Edvard-Grieg-Straße 18 installiert
     worden war. Obwohl sie wusste, dass es mindestens noch zehn Minuten dauern würde, bis Flora fertig war und vor der Haustür
     erschien. So war es früher zumindest immer gewesen. Vor der Nacht am See. Vor der Verhaftung von Hagen Gerlinger. Als Flora
     fast jeden Tag bei Trixi vorbeigekommen war oder Trixi Flora zu irgendetwas abgeholt hatte. Damals hatte Trixi nie unten vor
     der Haustür gewartet.
    Seit Flora gegen Hagen Anzeige erstattet hatte und Hagen in Untersuchungshaft saß, mied Trixi die Wohnung der Duves. Sie konnte
     nicht genau sagen warum. Vielleicht konnte sie einfach noch nicht an der Tür vorbeigehen, hinter der Hagen die letzten Monate
     zweimal die Woche gewohnt hatte. Vielleicht würde sie unweigerlich anfangen, nach Spuren von ihm zu suchen, obwohl sie wusste,
     dass sein Vater alles mitgenommen hatte. Vielleicht auch, weil sie sich in manchen Momenten wie eine Verräterin vorkam. Das
     waren die Momente, in denen sie zweifelte, an ihrem eigenen Verstand, an allem,was sie gehört hatte, an der Freundschaft zu Flora. Sie hasste diese Momente, denn sie wusste, dass sie alles nur noch schlimmer
     machten, alles gänzlich zerstören konnten.
    Trixi setzte sich auf eine der beiden Eingangsstufen. Erst jetzt bemerkte sie im Vorgarten zwischen zwei Obstbäumen einen
     krummen Rücken. Die alte Garthoff aus dem Parterre bearbeitete den Boden zwischen den Bäumen mit einem dreizinkigen Gartengerät.
     Sie hielt in der Arbeit inne, drehte sich zu Trixi um, fixierte sie mit harten Augen.
    Trixi nickte ihr zu.
    Die alte Frau starrte sie reglos an, dann wandte sie sich wieder dem Unkraut zu und setzte ihre Arbeit fort.
    »He, du.«
    Trixi bemerkte zuerst das Limetten-Lakritz-Parfüm. Der Duft war so mit Flora verbunden, dass er Trixi gar nicht mehr wie ein
     Parfüm vorkam, sondern wie ein Geruch, der einfach von Floras Körper ausging. Erst jetzt fiel Trixi auf, dass sie ihn in letzter
     Zeit nicht mehr an Flora gerochen hatte.
    Flora hockte sich neben Trixi auf die Stufe. Ihre schlanken Beine sahen in den schwarzen Longstockings wie riesige Spinnenarme
     aus. »Gehen wir?«
    Trixi nickte und ließ sich von Flora, die bereits wieder aufgestanden war, hochziehen.
    Schweigend gingen sie von der Edvard-Grieg-Straße Richtung Innenstadt. Es war die Idee vonFloras Mutter gewesen, dass Trixi und Flora zusammen eine Shoppingtour unternahmen. Sie hatte Flora extra Taschengeld dafür
     gegeben. Normalerweise hätte keins der Mädchen dazu eine Aufforderung gebraucht. Jetzt liefen sie durch die Straßen, als stünde
     ihnen eine Prüfung bevor, von der sie wussten, dass sie sie nicht bestehen werden.
    Obwohl Sonnabend war, waren kaum Leute in der Innenstadt unterwegs. Die meisten Bewohner von Telpen fuhren zum Shoppen nach
     Pokritz, in eine andere Großstadt oder in die Telm-Estate, einem riesigen Komplex mit Shopping- und Erlebnis-Center. Wenn
     sie überhaupt noch shoppen fuhren.
    Die Fußgängerzone war vor ein paar Jahren neu gestaltet worden. Es gab einen Springbrunnen, helles Kopfsteinpflaster und altertümlich
     wirkende Straßenlaternen. Die meisten von ihnen funktionierten bereits nicht mehr. Alle Häuser hatten damals einen neuen Putz
     bekommen. Die Ladenbesitzer waren optimistisch, dass sich die Telpener Fußgängerzone wieder belebt. Zunächst sah es auch danach
     aus. Doch dann machte nur ein paar Kilometer vor der Stadt die Telm-Estate auf. In der Innenstadt schlossen dafür mehr und
     mehr der kleinen Läden. Ein paar Ramschläden hielten sich, Drogerien, zwei oder drei CafÄs, hier und da ein Restaurant, ein
     alteingesessenes, kleines Kaufhaus, ein Schuhladen und ein Schmuckladen, in
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