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Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre

Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre

Titel: Townsend, S: Tagebücher des Adrian Mole: Die schweren Jahre
Autoren: Unbekannt
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Ich will in Ruhe essen.«
    Daraufhin stürmte meine Mutter voraus und murmelte: »Ihr schaufelt euch euer eigenes Grab«, während sie versuchte, sich im steifen Juniwind eine Zigarette anzuzünden.
    Ich war überrascht, Jubel zu vernehmen, als wir den Pub betraten. Überrascht, weil die Familie Mole hier in der Gegend seit dem Vorfall mit den Mülltonnen nicht sonderlich beliebt ist. Doch der Jubel galt der Nachricht, dass Tony Blair endlich den Parteivorsitz der Labour Party abgegeben hat und am Mittwoch als Premier zurücktreten wird. Ich hätte in den Jubel einstimmen sollen, stattdessen spürte ich Tränen in den Augen brennen. Mr. Blair hat meine Sympathien und meinen Respekt durch einen Krieg verpulvert, der den Freund meines Sohnes das Leben gekostet hat.
    Ich fühlte mich an jenen herrlichen Tag im Mai zurückversetzt, als Kirschblüten in der Frühlingssonne schwebten – so als würden die Bäume mit Konfetti werfen, um den Sieg von New Labour zu feiern. Damals war ich noch jung und voller Hoffnung und glaubte, dass Mr. Blair – mit seinem Mantra »Bildung, Bildung, Bildung« – England in ein Land verwandeln würde, in dem Menschen sich an Bushaltestellen über Tolstoi und Poststrukturalismus unterhalten würden. Doch es hat nicht sollen sein, mein eigener Vater glaubt, Tate Modern wäre eine neue Sorte Zuckerwürfel.
    Als wir uns in der Schlange am »Fleischbüfett« anstellten, schwärmte meine Mutter von Gordon Brown, wie düster und schroff und massiv er doch sei. Daisy unterbrach ihren Vergleich der jeweiligen Saftigkeit von Rinder-, Schweine-, Lamm- und Putenbraten und erklärte: »Die Eiger Nordwand ist schroff und massiv. Der Unterschied ist nur, dass die Eiger Nordwand über mehr emotionale Intelligenz verfügt.«
    Daisy behauptet, dass zu der Zeit, als sie noch als PR-Frau in London arbeitete, das Gerücht umgegangen sei, Gordon Brown habe irgendein Syndrom. Meine Mutter blieb aber dabei, Gordon Brown habe trotzdem all die Wesenszüge an sich, die sie an einem Mann schätze – er sei introvertiert und strahle eine gewisse Bedrohlichkeit aus, genau wie Mr. Rochester aus Jane Eyre . Meine Mutter hat es in letzter Zeit mit der Literatur. Sie liest vier Romane pro Woche, als Vorbereitung auf das Verfassen ihrer Autobiografie. Ha! Ha! Ha!
    Das Essen im Bear Inn war annehmbar, aber ich vermisse immer noch das Sonntagsmahl meiner Großmutter. Kein Fleischbüfett kann ihren knusprigen Yorkshire Pudding und ihre krossen Röstkartoffeln ersetzen. Während wir an unserem Fleisch herumsäbelten (wir alle hatten uns für Rind entschieden, außer Gracie, die das »Piraten-Special« bestellt hatte – Fischstäbchen und eine Augenklappe), sagte mein Vater: »Ich hab alles genau ausgerechnet. Dieser blöde Fraß hier hat uns gerade sechs Pfund pro Nase gekostet und Gracies noch mal fast vier Pfund. Das sind satte achtundzwanzig Pfund! Was kostet ein anständiger Rinderbraten?« Er sah meine Mutter und Daisy an, die seinen Blick beide ausdruckslos erwiderten. Keiner von beiden schien die Antwort zu wissen. »Ein Stück Rindfleisch, ein bisschen Gemüse …!«, fuhr mein Vater fort. »Der Typ verdient sich eine goldene Nase an uns!« Er wandte sich wieder seinem Teller zu und schabte die letzten Soßenreste zusammen.
    Ich sagte: »Aber das ist Kapitalismus. Ich dachte, du befürwortest das kapitalistische System, oder hast du deine Meinung geändert?« War dieses Unvermögen, die Grundregeln des Geschäftslebens zu begreifen, ein erstes Anzeichen von Alzheimer?
    Tom Urquhart, der Wirt, kam an unseren Tisch. Aus irgendeinem Grund hat er unsere Familie noch nie leiden können. Ich habe kein vernünftiges Gespräch mehr mit ihm geführt seit dem Tag, an dem ich ihn fragte, ob er für meinen Vater eine Behindertentoilette einbauen würde. Seine armselige Ausrede war: »Ein Behindertenklo würde die Atmosphäre meines Pubs zerstören – das Bear Inn gibt es schon seit vor der Auflösung der Klöster.«
    Als ich ihn darauf hinwies, dass Cromwells Armee eine hohe Behindertenquote aufwies (haufenweise Amputierte), drehte er mir den Rücken zu und machte sich an den Flaschen hinter der Theke zu schaffen.
    Wir hatten keine Soße mehr, aber ich wollte Urquhart nicht darum bitten. Vielmehr ging ich selbst mit dem leeren Krug zur Küchentür und entdeckte schockiert, dass Kath Urquhart, die Wirtin, sich von Jamie Briton, dem Kochlehrling, den Nacken küssen ließ. Rasch zog ich mich von der Tür zurück, aber ich glaube,
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