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Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Totgeschwiegen (Bellosguardo)

Titel: Totgeschwiegen (Bellosguardo)
Autoren: Annette Reiter
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befahren. Sie musste darauf achten, nicht von ihr erkannt zu werden. Maya drückte sich in einen Hauseingang, ein paar Meter von dem Wagen entfernt. Aus dieser Position konnte sie, sowohl ihre Mutter im Auto sehen, als auch das Haus der Frau. Angespannt beobachtete sie ihre Mutter wie diese gebannt auf das Haus starrte. Einmal drehte sie kurz ihren Kopf in Mayas Richtung. Ihr Gesicht war versteinert wie eine Maske.
    Plötzlich öffnete sich die Fahrertür. Ihre Mutter stieg aus, überquerte die Straße und ging auf das Haus zu. Maya sah, wie sie das Klingelschild absuchte und auf einen der Knöpfe des Mehrfamilienhauses drückte. Nach kurzer Zeit drehte sie sich um und ging wieder auf ihr Auto zu. Offensichtlich war die Frau nicht zuhause. Ihre Mutter setzte sich wieder ins Auto und fuhr aber nicht los. Wollte sie jetzt allen ernstes warten, bis die Frau wiederkam?
    Maya überlegte fieberhaft, ob sie sich jetzt zu erkennen geben sollte. Sie wollte ihrer Mutter beistehen. Auch wenn sie dafür Ärger bekommen würde, es war ihr egal. Sie machte einen Schritt und verließ ihre Deckung. In dem Moment hielt ein schwarzer Audi vor dem Mehrfamilienhaus. Es war der Wagen ihres Vaters. Maya erstarrte. Sie konnte weder einen Schritt vor noch zurück machen. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie ihr Vater aus dem Auto stieg. Auf der Beifahrerseite stieg eine Frau aus. Ihr Vater öffnete den Kofferraum und hievte einen Liegestuhl heraus. Die Frau machte sich mittlerweile mit der anderen hinteren Tür zu schaffen. Maya hörte Babygeschrei. Die Frau hielt einen Maxicosi in der Hand. Sie stellte ihn auf den Bürgersteig und schnallte das Baby ab. Mit dem Baby auf dem Arm und Mayas Vater mit dem Liegestuhl im Schlepptau, ging sie auf die Haustür zu. Mit einer Hand kramte sie in ihrer umgehängten Handtasche und sagte irgendetwas zu Mayas Vater.
    Der nickte und nahm ihr das schreiende Baby ab. Er schuckelte es hin und her und streichelte dabei das Köpfchen. Maya merkte, wie ihr übel wurde. Endlich fand die Frau ihren Schlüssel und schloss die Haustür auf. Sie nahm das Baby wieder zurück und Mayas Vater schnappte sich erneut den Liegestuhl. Zusammen mit der Frau betrat er das Haus. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Mit offenem Mund starrte Maya auf die Haustür. Mit einem Mal hörte sie quietschende Reifen. Ihre Mutter verließ die Parklücke. Einen Augenblick sah Maya in ihr Gesicht.
    Niemals würde sie den Ausdruck des Entsetzens in den weitaufgerissenen Augen ihrer Mutter vergessen.
    Panisch rannte sie hinter dem Wagen her. Aber ihre Mutter gab Gas. Maya blieb stehen und starrte ihr hinterher. Der Wagen wurde immer schneller. Von weitem sah sie einen Lastwagen von rechts aus einer Straße kommen. Sie konnte das Fahrerhäuschen in der Ferne schon sehen. Der Wagen ihrer Mutter raste darauf zu.
    „Mama du musst bremsen!“ Das war ihr letzter Gedanke , bevor sie den schrecklichen Knall hörte. Der BMW rammte mit voller Wucht die Längsseite des monströsen LKWs. Die Front bohrte sich in den Lastwagen. Der hintere Teil des Wagens erhob sich kurz in die Luft und krachte dann auf den Boden zurück. Maya rannte den Bürgersteig entlang, auf das Wrack zu.
    Wie aus dem Nichts war die Straße auf einmal voller Menschen. Maya rannte weiter. Sie war schon fast an der Unfallstelle angelangt, als sie von kräftigen Armen am Weiterlaufen gehindert wurde.
    „Geh da nicht hin, Mädchen“, hörte sie wie aus weiter Ferne eine Männerstimme sagen. Sie wollte schreien, wollte ihm sagen, dass ihre Mutter in dem Wagen saß, aber sie brachte keinen Ton heraus.
    Wie versteinert stand sie da und sah auf das rauchende Wrack. Irgendjemand versuchte die Fahrertür aufzubekommen. Und auf einmal lief Maya los. Schritt für Schritt ganz langsam ging sie in die andere Richtung, weg von der Unfallstelle. Keiner drehte sich nach ihr um, keiner bemerkte sie. Alle liefen auf den Unfall zu.
    Sie ging zur U-Bahn und kam irgendwann wieder zuhause an. An die Fahrt konnte sie sich nicht erinnern. Das Einzige woran sie sich erinnern konnte, war der irrwitzige Glaube, dass, wenn sie zuhause wäre, sich alles als schlechter Traum herausstellen würde. Als sie allerdings den Polizeiwagen vor ihrer Haustür sah, wusste sie, dass sie ihre Mutter nie wiedersehen würde.
     
    Wenn sie doch nur zu ihrer Mutter in das Auto gestiegen wäre. Wenn sie doch nur mit ihr geredet hätte oder mit ihrem Vater. Wenn sie nur nicht geschwiegen hätte. Dann wäre ihre Mutter
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