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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt
Autoren: Sam E. Maas
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Geschmackssinn durcheinander gebracht.“
    „Ja vielleicht, trotzdem —“
    „Trinkst du normalerweise Milch?“, fragte sie frech grinsend.
    Daraufhin leerte er die Dose in einem Zug, ohne abzusetzen. Artig wie ein Kind wollte er der Frau zeigen, wie tapfer er war. So war es schon immer gewesen, der Stolz der Männer war einfach zu groß für ihr eigenes Wohlergehen.
    „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie.
    „Sebastian.“
    „Schöner Name. Ich bin Tina“, entgegnete sie.
    Sie hatte nicht vor, seinen grässlichen Namen jemals zu benutzen, er sollte vielmehr ein unpersönliches Ding bleiben. Genauso wenig wie seinen Namen mochte sie den Decknamen, den sie gewählt hatte, aber der Mann schien es nicht wert zu sein, die Bekanntschaft mit einer Frau mit aufregend klingendem Namen machen zu dürfen. Außerdem würde er sowieso in Kürze sterben, teilte ihr ihr Bauchgefühl mit und mit seinem Tod würde ihre neue Identität ebenfalls enden.
    „Komm, wir gehen ein Stückchen weiter. Anscheinend kommt hier keiner mehr vorbei.“
    Sie lockte ihn an einen Platz, wo er ungestört tot umfallen konnte, denn sie wusste nicht, wie schnell er auf das Zeug reagieren würde.
    Doch als aus einer halben Stunde eine ganze wurde und er nicht die geringsten Anzeichen von Übelkeit entwickelte, wurde sie leicht nervös. Marie war von Natur aus ungeduldig. Sie hasste es zu warten, vor allem, wenn sie nicht wusste worauf. Sollte er sich dazu entscheiden tot umzufallen, könnte er es genauso gut auf der Stelle tun. Am Ergebnis würde es jedenfalls nichts ändern.
    Im Gegensatz zu ihrer Nervosität legte sich seine sogar und allmählich begann er aufzutauen. Bereitwillig antwortete er auf die Fragen, die sie ihm stellte, was darauf hindeutete, dass er Vertrauen gefasst hatte. Das war auch gut so, denn es würde die Sache erleichtern — was auch immer die Sache war.
    Sie suchte nach Anhaltspunkten in seiner Biographie, irgendetwas musste ihn doch auszeichnen. Aber an ihrem Anfangsverdacht, er sei ein nutzloser Versager, änderten seine Geschichten nichts. Genau genommen entpuppte er sich als Riesen Langweiler. Er erzählte hauptsächlich von der Zeit, als er noch jobbte und zur Uni ging, hatte hier Probleme und da Probleme. Da war er auf einen Selbstfindungstrip gekommen — erwartete er Applaus? Fühlte sich dann von der Großstadt magisch angezogen — übersetzt hieß das, dass er von seinen Problemen weggelaufen war. In Berlin hatte er sich dann endgültig verlaufen, was er natürlich auch nicht wörtlich gesagt hatte, aber das hatte sie herauslesen können.
    Der Typ war wirklich labil, genau wie der Doktor bescheinigt hatte. Er musste wohl dessen Krankenakte eingesehen haben. Der Junkie war nicht bei seinen leiblichen Eltern aufgewachsen, sondern bei Pflegeeltern. Das deckte sich ebenfalls mit den Schilderungen des Alten, dem Mörder seiner Mutter.
    „Im Grunde genommen sind sie in Ordnung. Das heißt, mein Pflegevater ist bereits gestorben“, verbesserte er sich. „Krebs“, fügte er noch hinzu.
    Das munterte sie auf. Krebs würde in ein paar Jahren zur Haupttodesursache in der entwickelten Welt aufsteigen. Leider schien der Versager nicht weiter auf die Leidensgeschichte des Vaters eingehen zu wollen. Wo waren all die grausamen Details?
    Marie versuchte Verständnis vorzutäuschen, mehr aus ihm herauszuholen, aber er legte nur halbherzig nach. Ob eine ähnliche Geschichte ihn inspirieren konnte, weiter zu erzählen?
    „Oh ja, ich weiß, wie das ist. Mein Hund ist doch auch elendiglich, aber nicht kampflos, an Krebs gestorben. Hunde können auch Krebs bekommen“, erklärte sie ihm. „Das hast du bestimmt nicht gewusst, gell? Man hat ihn einschläfern müssen. Das arme Ding hat unheimlich gelitten … mit großen Augen hat er mich angeguckt, voller Liebe und Verständnis. Mit seiner Schnauze hat er mich angestupst … damit hat er sich bei mir bedankt, gesagt, dass mich keine Schuld trifft. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke. Wie auch immer, jetzt ist er an einem besseren Ort … im Hundehimmel nämlich.“
    Er hatte sie während ihrer Darbietung merkwürdig angesehen, obwohl sie extra den traurigen Blick ihres Hundes imitiert hatte. Aber es blieb dabei, er legte seinerseits nichts nach.
    Marie gab sich geschlagen, dann würde sie eben nicht in den Genuss einer graphischen Darstellung des Martyriums seines Vaters kommen. Sie steckte sich eine Zigarette in den Mund, bot ihm ebenfalls eine an. An Krebs
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