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Toter geht's nicht

Toter geht's nicht

Titel: Toter geht's nicht
Autoren: Faber Dietrich
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viel dafür geben, sie fragen zu können.
     
    Nach einer weiteren kurzen Pause, die sich «Sandra» nimmt, schreibt sie mir die Adresse der Hütte, mit einer kurzen Wegbeschreibung, wie sie zu Fuß zu erreichen ist.
    Es ist Freitagnacht, kurz vor Mitternacht, und ich weiß jetzt schon, wer morgen früh mit Tochter, Sohn und Hund einen Kurztrip in die Schweiz unternehmen wird.
     
Heute habe ich mich rangetraut. Ich hatte sie in den Kleiderschrank unter die Wolldecken gelegt. Ganz nach unten. Es war das Erste, was ich tat, als ich hier oben ankam. Selbst die Fensterläden waren noch zu. Irgendetwas in mir hat tatsächlich gehofft, dass ich es vergessen könnte. Oder dass ich die Zeit hier oben zurückdrehen und all dies ungeschehen machen könnte. Wenn ich hier an diesem kleinen Holztisch über mich nachdachte oder meine Gedanken aufschrieb, habe ich versucht, diesen einen Sonntag auszublenden. Es ist mir auch oft gelungen. Aber nicht immer. Und eben gerade, nachdem ich Henning meine Adresse geschickt hatte, bin ich zum Schrank gegangen und habe sie herausgeholt. Ein bisschen hatte ich gehofft, dass sie dort nicht mehr liegt. Dass sie dort nie gelegen hat. Dass ich sie dort nie hingelegt habe.
Dann habe ich sie zum Laufen gebracht.

[zur Inhaltsübersicht]
    23. KAPITEL
    S ie will, dass ich zu ihr komme. Sie will mich wiedersehen, sonst hätte sie mir die Adresse nicht geschickt. Sie wird aber nicht damit rechnen, dass ich so schnell bei ihr sein werde. Und dass ich nicht alleine bin.
    Ich habe Melina und Laurin um sechs Uhr in der Frühe geweckt.
    «Steht auf», habe ich gesagt. «In einer Stunde sitzen wir im Auto und fahren in die Berge, zu eurer Mutter.»
    Beide sprangen, ohne weitere Fragen zu stellen, aus ihren Betten und saßen vierzig Minuten später mit Berlusconi im Auto. Ich schickte noch schnell jeweils eine SMS an Markus und Miriam, damit sie wissen, wie schlecht ich in den nächsten beiden Tagen zu erreichen sein werde.
     
Ich habe zurückgespult und mir das angeguckt. Und wieder hätte ich beinahe gekotzt. Was für eine Drecksau. Auf der Kassette sind nur solche Aufnahmen. Ich hatte mich also nicht getäuscht, als ich ihn sah, wie er mit der Kamera hinter Melina herlief. Melina, die gar nicht auf dem Unzug sein durfte. Schon gar nicht in diesem Kostüm. Sie würde als Nutte gehen, sagte sie zu Hause und meinte das auch noch ernst. Und dieser Mann mit der furchtbaren Maske steigt ihr nach und filmt sie bis unter den Minirock. Melina hat es nicht bemerkt. Sie hat auch mich nicht gesehen. Mein Gott, dann ging alles so schnell. Ich packte ihn am Arm. Er drehte sich um, blieb kurz stehen. Ich weiß nicht mehr genau, was er zu mir sagte. Ob ich Lust auf einen Privatfilm hätte, oder so etwas. Dann lief er weg. Weg von der Menschenmasse, hinein in eine Nebenstraße. Ich hinter ihm her. Ich hörte mein Herz schlagen und meinen Tinnitus im linken Ohr immer schriller werden. Er ging in Richtung Feuerwehrhaus. Ich glaube, er merkte nicht, dass ich ihm folgte. Ich weiß nicht, warum ich es tat. Ich konnte nicht anders. Es war diese Wut, die mich fast zerspringen ließ. Erst als ich ganz dicht hinter ihm war, bemerkte er mich wieder. Er drehte sich um. Ich riss ihm seine Sensenmannkappe vom Kopf. «Schlampe», sagte er dann. Und noch irgendetwas. Dann packte er mich und zog mich hinter das Haus.
«Du scheinst es ja wirklich zu wollen», sagte er. Er lachte. Ich glaube nicht, dass ich geschrien habe. Dann löste ich mich von seinem Griff und schlug nach ihm. Ich traf ihn nicht. Und seine Kamera lief wieder. Er hielt das Objektiv in der Kamera auf meine Brust. Dann sah ich diese Eisenstange.
     
    Es stört mich, wenn ich im Kino oder im Fernsehen Ehedramen sehe, bei denen am Ende immer alles so mirnichtsdirnichts gut ausgeht. Eben tut sich ein Paar noch die schlimmsten Dinge an, sie hassen sich, betrügen sich, verletzen sich – und das schon seit Jahren. Dann wird sich dramatisch getrennt, und wenig später merken sie dann so einfach, so ganz nebenbei: «Och, ich lieb den ja doch, und wenn ich es mir so recht überlege, war ja doch eigentlich alles ganz super.» Dann passiert ein launiger, kecker Zufall, der sie wieder zusammenführt, und schließlich wird sich in die Arme gefallen, und all die Probleme, mit denen sie sich jahrelang herumschlugen und die erst überhaupt zu der Trennung führten, sind ratzfatz weg, ohne dass auch nur ansatzweise irgendetwas besprochen, geschweige denn aufgearbeitet wurde.
    Genau so
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