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Totentrickser: Roman (German Edition)

Totentrickser: Roman (German Edition)

Titel: Totentrickser: Roman (German Edition)
Autoren: Jan Oldenburg
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entgegnete Selphyne. »Woher wussten Sie eigentlich, dass wir kommen würden?«
    Der Gnom strich sich durch seine ergrauten Haare.
    »Nun«, sagte er, »ich wusste nicht, dass Sie, sondern nur dass jemand kommen würde. Jemand, der die kleine Nenia hier herbringen wird. Mein Mandant hat das vorhergesagt.«
    »Ihr Mandant?«, fragte Falfnin.
    »Herr Trauersaat«, antwortete der Gnom und zeigte auf einen Sarkophag, der inmitten eines Dschungels aus Trauergestecken aufgebahrt worden war.
    »Das heißt … er ist tot?«, fragte Selphyne betroffen.
    »Ja«, nickte der Gnom unbekümmert. »Vor drei Tagen um halb Fünf ist er verstorben, pünktlich auf die Minute. Herr Trauersaat konnte Unpünktlichkeit nicht ausstehen. Kommen Sie, treten Sie ruhig näher.«
    In dem Sarkophag befand sich, die Hände über der Brust gefaltet und mit einem ironischen Lächeln auf den vertrockneten Lippen, der zweifellos älteste Nachtelf der Welt. Wenn den Helden mitgeteilt worden wäre, dass er nicht vor drei Tagen, sondern ebenso vielen Jahrtausenden verstorben sei, hätte sie das nicht verwundert.
    Jemandem wie dem dahingeschiedenen Plutonio Trauersaat erwartet man normalerweise in den Grabkammern uralter Pyramiden zu begegnen, eingewickelt in mehrere Schichten balsamgetränkter Leinentücher.
    Bolgur hob Nenia hoch, damit sie ihren verstorbenen Großonkel betrachten konnte. Der Anblick schien die kleine Nachtelfe allerdings nicht sonderlich zu berühren, sie zappelte wütend mit Armen und Beinen.
    »Lass mich runter, du doofer Klops!«
    Selphyne räusperte sich.
    »Das ist sehr traurig«, sagte sie. »Wo die arme Kleine in letzter Zeit so viele Verluste erleiden musste.« Dann fiel ihr etwas ein. »Wie meinten Sie das: Pünktlich auf die Minute ? Wusste er denn, dass er sterben würde?«
    »Mein Mandant verfügte über eine ganz besondere Gabe«, erklärte der Gnom. »Die Zukunft war gewissermaßen ein offenes Buch für ihn, was ihm nicht nur bei seinen Geschäften zugute kam, sondern auch bei der Regelung privater Angelegenheiten von Nutzen war.«
    »Du sagst immer mein Mandant «, meinte Brom. »Wer bist du denn eigentlich?«
    »Stimmt, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt«, sagte der Gnom. »Gestatten Sie: Zergo Tintenrohr. Ich bin der Notar des Verstorbenen.«
    »Notar?«, wiederholte Brom mit einem zwergischen Funkeln in den Augen. »Das bringt mich auf eine Idee. Dieser Trauersaat war ziemlich gut betucht, nicht wahr?«
    »Das Vermögen meines Mandanten ist durchaus bemerkenswert, ja«, nickte der Notar.
    »Und jetzt, wo der Rest von ihrer Mischpoke den Löffel … ich meine, nun, da die übrigen Verwandten der armen Kleinen unter bedauerlichen Umständen verstorben sind, ist Nenia die Alleinerbin dieses recht bemerkenswerten Vermögens, oder sehe ich das falsch?«
    Alle wandten sich der kleinen Nachtelfe zu, die auf beunruhigend zufriedene Weise lächelte.
    »Der Rest der Verwandtschaft ist verstorben?«, fragte Tintenrohr. »Das erklärt, warum ich keine Antwort auf die Benachrichtigungen bekommen habe, die ich bereits vor einiger Zeit losgeschickt hatte. Aber es überrascht mich auch nicht. Mein Mandant hatte bereits etwas Derartiges vorhergesagt.«
    »Eine Reihe von tragischen Unfällen …«, warf Selphyne verlegen ein.
    Der Notar warf ihr einen bedenklichen Blick zu.
    »Nun ja …«, begann er und schwieg. Als Rechtsberater einer finanzstarken und einflussreichen Klientel, die es sich nicht immer erlauben konnte, bei der Wahl ihrer Methoden zimperlich zu sein, hatte er gelernt, dass es manchmal ein Gebot der Höflichkeit war, das Offensichtlichste nicht auszusprechen. Seine Miene hellte sich auf, als er die positiven Aspekte der Situation herausstrich. »Nun, dann brauchen wir ja mit der Testamentseröffnung auch nicht mehr auf die anderen zu warten. Wieder etwas Zeit gespart! Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich ins Haus zu begleiten? Dort können wir das Weitere besprechen.«
    »Nichts lieber als das«, entgegnete Brom.
    Seine Augen funkelten jetzt nicht bloß, sondern sahen wie zwei prägefrische Golddublonen aus, komplett mit dem Portrait Kaiser Raffschnell des Habgierigen.
    »Bonbon?«
    Der Notar steckte sich selbst ein Bonbon in den Mund und reichte das runde Glasbehältnis mit den Süßigkeiten herum. Bolgur schüttete sich ungefähr ein halbes Dutzend auf die Hand und Nenia nahm sich ebenfalls eins und machte dabei ein Gesicht wie eine Nachtelfenkönigin, die nach einem triumphalen Feldzug in die Hauptstadt
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