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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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bewegt sich, aber der Wind und der Schnee nehmen seine Worte mit. Deshalb sehen wir nur zu, Gabriel und ich, wie er die Schlüsselkarte über die Schaltfläche zieht. Das Tor ruckt ein bisschen, als es sich durch den Schnee gräbt, aber es geht auf.
    Eine ganze Weile bleibe ich einfach davor stehen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich weiß nicht, ob ich all dem trauen soll. Ich rechne immer noch damit, dass Vaughn … ich weiß auch nicht … hinter einem Baum hervorspringt und uns erschießt oder so.
    Aber der Diener scheucht uns vorwärts, ich glaube, er sagt: »Geht! Geht!«
    »Warum?«, sage ich. Ich trete ganz nah zu ihm, damit ich ihn besser verstehen kann. Über den Wind hinweg brülle ich: »Warum hilfst du uns? Woher weißt du, dass wir hier sind?«
    »Deine Schwesterfrau hat mich gebeten, dir zu helfen«, sagt er. »Die Kleine. Der Rotschopf.«

Ich habe das Gefühl, wir laufen die ganze Nacht durch. Es scheint, als wäre das Ende der Welt gekommen und als gäbe es nur noch diesen einen Weg und diese Bäume und diese verschneite Dunkelheit. Wir bleiben stehen, um Atem zu holen, aber die eiskalte Luft bietet unseren keuchenden Lungen wenig Erleichterung. Wir frieren, wir sind erschöpft und immer noch tobt der Sturm.
    In der Bibliothek habe ich ein Buch mit dem Titel Dantes Inferno gelesen. Da ging es um die vielen Kreise eines Ortes namens Hölle, im Jenseits. In einem dieser Höllenkreise gab es zwei Liebende, die für ihre Unzucht bestraft wurden, indem sie auf ewig in einem Sturm gefangen waren. Sie konnten nicht miteinander sprechen, konnten einander nicht hören und es gab nicht einen Augenblick der Stille.
    Das könnten wir sein, denke ich. Das Traurige daran ist, wir hatten noch nicht mal die Gelegenheit, ein Liebespaar zu werden. Wir sind nichts weiter als ein Diener und eine unfreiwillige Braut. Kein Augenblick echter Freiheit ist uns vergönnt gewesen, um zu erkunden, was wir füreinander empfinden. Unter Deidres selbst gestricktem Handschuh trage ich sogar noch meinen Ehering.

    Als wir weit genug vom Eisentor weg sind, werden wir langsamer. Ich kann nicht verstehen, warum diese Straße so lang ist. In der Limousine haben wir nur Minuten dafür gebraucht. Ob Gabriel und ich falsch abgebogen sind? Es liegt so viel Schnee, dass ich nicht einmal sicher sein kann, dass wir überhaupt auf der Straße sind. Und als ich gerade zu dem Schluss komme, dass entweder die Welt untergegangen ist oder wir uns in der Hölle befinden, tauchen Lichter auf. Ein Rumpeln ist zu hören, dann braust ein großer gelber Lastwagen an uns vorbei und schiebt den Schnee auf der Straße zur Stadt beiseite.
    Und wir haben es geschafft. Wir sind da. Die Lichter und Gebäude tauchen vor uns auf, als hätte sich eben ein Vorhang für uns gehoben. Es kommen noch weitere Schneepflüge, sogar ein paar Menschen laufen unter den Straßenlaternen umher. Die Leuchtreklame des Kinos wirbt für ein Zombiefestival, das die ganze Nacht dauert.
    Solange wir in dieser verlassenen Ödnis waren und an den sicheren Tod glaubten, ging nur ein paar Meilen entfernt die Welt friedlich ihren Gang. Ich lache ziemlich hysterisch, ich schüttele Gabriel und zeige mit dem Finger und sage: »Siehst du? Siehst du, was dir entgangen ist?«
    Er fragt: »Was ist ein Zombie?«
    »Weiß ich nicht. Aber wir könnten es herausfinden. Wir können machen, was wir wollen.«
    Wir gegen ins Kino, wo es warm ist und nach heißer Butter und Teppichreiniger riecht. Keiner von uns beiden hat Geld. Selbst wenn ich daran gedacht hätte, welches zu stehlen, hätte ich nicht gewusst, wo ich danach hätte
suchen sollen. In der Villa haben wir keines gebraucht. Nicht mal Linden hatte Geld bei sich.
    Aber das Kino ist voll und wir können uns unbemerkt in einen der Säle schleichen. Umgeben von Fremden schmiegen wir uns in der Dunkelheit dicht aneinander. Wir sind anonym und in dieser Anonymität liegt Sicherheit. Die Filme sind schrecklich, die Spezialeffekte geschmacklos und albern und plötzlich überkommt mich ein Hochgefühl.
    »So ist es in Manhattan auch«, flüstere ich ihm zu.
    »In Manhattan kriechen Leute aus ihren Gräbern?«
    »Nein. Sie bezahlen dafür, solche Filme zu sehen.«
    Der Filmmarathon läuft die ganze Nacht durch, ein grotesker Film folgt dem anderen. Ich nicke ein und wache wieder auf. Ohne Zeitgefühl, ohne Gespür für Tag oder Nacht. Ich nehme die Schreie und das Heulen im Unterbewusstsein wahr, aber ich weiß, dass der Horror nur
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