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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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zurück zwanzig Minuten brauchte und dabei riskierte, Böhm warten zu lassen.
    Kein guter Start für die Zusammenarbeit, vermutete er, legte den Autoschlüssel zurück auf den Tisch und beschloss, sich den dritten Kaffee des Morgens zu brühen. Während er auf das Brodeln des Wasserkochers wartete, sah er aus dem Fenster. Die ersten Sonnenstrahlen ließen Spinnweben aufglitzern, die sich wie weiche silbrige Nester im knöchelhohen Gras ausbreiten konnten, weil Pieplow das Rasenmähen wieder und wieder vertagte.
    Altweibersommer.
    Pieplow mochte das Wort und fand nicht einmal, dass es uncharmant klang. Eher märchenhaft weise. Schön für eine Jahreszeit, die mit den Silbergespinsten genauso verschwenderisch war wie mit der Wärme, in der der Zauber wieder verschwand.
    Mit dem Kaffeebecher in der Hand trat er hinaus in seinen Garten. Genaugenommen konnte bei zwanzig Quadratmetern ungemähter Wiese mit ein paar unverwüstlichen Grasnelken von Garten eigentlich keine Rede sein, aber es reichte für Liegestuhl und Sonnenschirm, und größere Ansprüche stellte Pieplow nicht. Sein erstes Dienstjahr hatte er möbliert gewohnt und die Hoffnung auf eine bezahlbare Wohnung fast aufgegeben, als Benzlau eines Tages in der Dienststelle erschienen war und wissen wollte, welcher der beiden Herren der Wohnungssuchende sei.
    »Ich«, hatte Pieplow geantwortet und sich gefragt, was einen exaltierten Herrn mit Zigarillo und Panamahut die Wohnungssuche des Inselpolizisten anging.
    »Wunderbar!« Der Panamamann streckte seine Hand über den Schreibtisch. »Benzlau, Friedemann Benzlau, sagt Ihnen das was?«
    »Doch, ja.« Pieplow nickte zögernd.
    Das also war Benzlau. Filmproduzent und Erbe der Seemöwe , an der das ganze Frühjahr gebaut worden war. Es musste eine schöne Stange Geld gekostet haben, aus dem volkseigenen Ferienobjekt wieder eine Sommervilla zu machen.
    »Wunderbar!«, rief Benzlau ein zweites Mal. »Vielleicht können wir ins Geschäft kommen.«
    Pieplow schwieg abwartend. Für eine Statistenrolle als wohnungsuchender Polizist oder ähnliche Albernheiten würde er sich nicht hergeben.
    Während Benzlau umständlich auf dem Besucherstuhl Platz nahm, taxierte er Pieplow. Das Ergebnis schien günstig auszufallen. »Ich dachte an eine Art Security-Deal. Sie bekommen eine Wohnung, nicht besonders groß, geb ich zu, aber günstig, und ich die Sicherheit, dass mir niemand die Bude ausräumt, wenn ich nicht hier bin.«
    Kästner und Pieplow wechselten einen kurzen Blick.
    Einerseits musste dem Mann erklärt werden, dass hier niemand Buden ausräumte und deswegen ein Sicherheitsdienst nur eine großstädtische Schnapsidee sein konnte. Andererseits brauchte Pieplow eine Wohnung und hatte nichts dagegen, durch seine bloße Anwesenheit Benzlau die Sorge um sein Sommerhaus zu nehmen, in dem es neben dem herrschaftlichen Teil mit Veranda und Balkon auch eine Dienstbotenwohnung gab. Für Chauffeur, Haustochter, Kindermädchen. Was man damals eben so brauchte an Personal, wie Benzlau erklärte.
    Pieplow fiel dazu keine passende Entgegnung ein, und er behielt seine Verwunderung über das, was Benzlaus Großeltern damals eben so brauchten, für sich. Einen Chauffeur in der Sommerfrische. Ausgerechnet auf Hiddensee.
    Seit mehr als zwölf Jahren funktionierte der Deal nun schon bestens. Sie hatten sich aneinander gewöhnt, der Filmemacher und der Polizist. Obwohl es nebenan manchmal so laut und überkandidelt zuging, dass Pieplow drei Kreuze machte, wenn es wieder still wurde im herrschaftlichen Teil der Seemöwe .

    »Das war’s wohl mit der Spätsommerstille«, dachte er, als eine Stunde später in den Schlesinger-Garten einfiel, was Böhm mobilisiert hatte.
    Spurensicherung, Gerichtsmedizin. Eine kleine, blasse Staatsanwältin in Pumps und einem flohbraunen Glencheck-Kostüm, für das sie zu jung war. Frauen und Männer in blauen Overalls mit breitem Polizei-Aufdruck auf dem Rücken, die Gerätschaften und Maschinen heranschleppten. Ein Zelt, das sich vor der Hauswand über Graben und Aushub spannte. Weiß verpackte Figuren, die sich mit Handschaufel und Sieb in der krümeligen Erde zu schaffen machten. Etwas abseits Malek, der sich bei einem übellaunigen, einsilbigen Kästner nach was auch immer erkundigte und sich Notizen machte.
    »Aber Sie können doch nicht … Moment mal!... Aber dürfen Sie denn …« Rieke Voss hetzte wie ein panisches Huhn durch den Garten, bis Böhm sie beiseitezog.
    Sie dürften sehr wohl, erklärte er.
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