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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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braucht doch nur eins und eins zusammenzuzählen und weiß Bescheid: Es wird für ein Haus ausgeschachtet, nicht tief, denn es soll keinen Keller haben, nur gerade so viel, wie man braucht für ein solides Fundament. Aber auch dafür wird eine Menge Erde bewegt, ausgehoben, wieder aufgeschüttet, planiert und festgestampft. Wenn der Tote schon dort verbuddelt gewesen wäre, hätte man ihn bei diesen Arbeiten garantiert gefunden. Also, was folgt daraus? Im Frühjahr’39 wird jemand ermordet. Erschlagen, erschossen, erwürgt – egal wie. Die Baugrube bietet sich als Grab an. Erstens, weil sich in dem aufgelockerten Boden schnell eins schaufeln lässt, und zweitens, weil ein Fundament eine solide Grabplatte ist, besonders wenn oben drauf noch ein ganzes Sommerhaus steht.« Sie lehnte sich mit einem Ausdruck schrulliger Zufriedenheit zurück und setzte noch triumphierend hinzu: »So war’s, wetten?«
    »Ich weiß nicht«, gab Pieplow ausweichend zurück. »Es ist nicht das erste Mal, dass auf Hiddensee Knochen gefunden wurden. Einmal sogar mehrere Gerippe gleichzeitig. Aber immer haben sich Erklärungen finden lassen, die nichts, aber auch wirklich gar nichts mit einem Verbrechen zu tun hatten.«
    »Sondern?«
    »Sondern damit, dass es bis dahin unbekannte Grabstätten waren oder dass ein aufgegebener Friedhof vom Meer freigespült wurde.«
    »Die sind dann aber älter als die geschätzten hundert Jahre gewesen.« Rieke Voss war von ihrer Mord-Theorie nicht abzubringen.
    Sie saßen auf der Terrasse des Inselblick , ganz außen unter dem Flieder. Während Pieplows Bericht von den Hypothesen und Plänen des Professors hatten die anderen Gäste möglichst unauffällig gelauscht, inzwischen hörten einige ungeniert zu.
    Pieplow schwankte zwischen Erleichterung darüber, dass Rieke Voss nicht hysterisch geworden oder in Ohnmacht gefallen war, und einem sehr mulmigen Gefühl angesichts ihres Eifers. Böhm würde alles andere als begeistert sein, wenn sie sich wie Miss Marple als Kriminalistin betätigte, weil das viel aufregender war, als stricken oder Kreuzworträtsel lösen.
    Der Wirt kam ungerufen, stellte zwei Gläser hin und füllte sie bis über den Eichstrich. »Sanddornschnaps«, sagte er fürsorglich. »Ist gut für die Nerven.«
    Pieplow sah zu, wie Rieke Voss ihr Glas leerte und es mit einem Seufzer zurück auf den Tisch stellte. Er hoffte inständig, dass Sanddorn sich bei Nervenaufruhr ebenso bewährte wie bei Erkältung. »Wenn Sie möchten …« Er schob sein Glas zu ihr hinüber.
    »Verstehe«, sagte sie, »Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps«, und prostete ihm mit einem kleinen, kurzen Lächeln zu.
    »Wissen Sie, die Schlesingers sind alles andere als eine Bilderbuchfamilie.« Es beruhigte Pieplow, dass sie nur noch halb so laut sprach. »Man kann ohne Übertreibung sagen, dass jeder mit jedem über Kreuz liegt und keiner eine Gemeinheit auslässt, wenn er sich einen Vorteil davon verspricht. Ich weiß, wovon ich rede, glauben Sie mir. Aber genau deswegen bin ich mir absolut sicher, dass kein Schlesinger auch nur den Schimmer einer Ahnung von diesem Mord hat.«
    Pieplow, der es gern harmonisch hatte, fand einen tückischen Kriegerverein wie die Schlesingers fürchterlich. Ein Wunder, dass nach all den Scharmützeln nicht noch mehr Tote unter dem Fundament lagen.
    »Aber es ist nun mal das Schlesinger-Haus, und dass sich alle Familienmitglieder spinnefeind sind, klingt auch nicht gerade entlastend«, gab er zu bedenken.
    »Eben doch! Verstehen Sie nicht? Wenn ein Schlesinger damit zu tun gehabt hätte, und die anderen hätten davon gewusst, wäre das doch die beste Munition gewesen. Man hätte ihn verdächtigen, verleumden, vielleicht sogar erpressen können. Bei Erbstreitigkeiten wäre so was nicht mit Geld zu bezahlen. Aber wie gesagt, von denen, die’s betrifft, ist keiner mehr am Leben.«
    »Vielleicht genügt Herrn Böhm das ja schon, und die Sache hat sich damit erledigt«, sagte Pieplow und erhob sich. Er hatte seine Aufgabe erfüllt, alles andere war Sache der Kripo.
    »Sie meinen fürs Protokoll? Ich denke gar nicht daran! Offiziell weiß ich nur, dass niemand mehr lebt, der als Zeuge in Frage käme. Alles andere ist meine Privatangelegenheit, und wenn ich Ihnen davon erzählt habe, können Sie das als Vertrauensbeweis betrachten oder meinetwegen auch als Anfall von Geschwätzigkeit, das ist mir egal.«

    Es war nach zehn, als Pieplow in seine Wohnung kam. Nach dem Trubel des Tages fiel ihm
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