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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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bald wieder krank.
    Das war Kapitän Friedrich Brahm nämlich im vergangenen Herbst gewesen. Todkrank an einem entzündeten Herzen und, kaum wieder gesund, nach einem Leben in der Fremde zurück auf die Insel gekommen. Nur die Jungen hatten sich darüber gewundert. So ist das, sagten die Alten. Fünfzig, sechzig Jahre fort und die ganze Welt umsegelt. Nutzt alles nichts. Am Ende zieht’s jeden zurück, weil er hier begraben werden will. Nirgendwo sonst.
    Bei seinen Besuchen am Hafen hatte Pieplow sich ein paar Mal neben den Alten gesetzt. Viel war nicht gesprochen worden, aber das Wenige hatte alles andere als verrückt geklungen. Über den Deich, auf dem ihre Aussichtsbank stand, hatten sie gesprochen. Darüber, dass es ihn, als der Kapitän fortgegangen war, noch nicht gegeben hatte. Dass damals noch die Boote mit knirschendem Kiel an Land gezogen wurden, wenn der Fang eingeholt und die Arbeit getan war. Schwere Arbeit, bei der viele ihr Leben aufs Spiel gesetzt und so mancher es verloren hatte.
    Das Signalhorn der Fähre riss Pieplow aus seinen Gedanken. Über ihm, unwirklich weiß vor den bleigrauen Wolken, ließen sich Möwen vom Wind in den Himmel heben, stoben auseinander, als hätte sie etwas erschreckt, und segelten mit der nächsten Bö weit aufs Wasser hinaus. Weil sie nicht kreischten wie sonst und fast ohne Flügelschlag schwebten, fiel Pieplow ein, wie der Alte sie genannt hatte: »Totenseelen. Möwen sind Totenseelen.« Dabei war sein Blick einem Vogel gefolgt, der sich zwischen den Wolken in nichts aufzulösen schien.

    »Totenseelen?« Wie ein Schuljunge seine Pausenstulle klappte Polizeihauptmeister Lothar Kästner das belegte Brötchen auf und wieder zu. Offenbar hatte Pieplow auf dem Rückweg vom Hafen das Richtige geholt, Salami, Majo, Gurkenscheiben. »Hab ich noch nie gehört, dass einer Möwen für Totenseelen hält. Ziemlich unpassend, wenn du mich fragst. Höchstens, es wären Seelen, die ein Heidengeschrei machen und überall hinscheißen.«
    Für Poetisches hatte Dienststellenleiter Kästner keine Ader, das hätte Pieplow nach all den Jahren wissen können.
    Kästner biss in sein Brötchen und kramte, während er genüsslich kaute, in seinem Gedächtnis. »Hafenmeisters Tauben, die alle Emma heißen«, förderte er schließlich zutage. Und dann noch: »Hafenhuren! Irgendwo hab ich gelesen, dass Möwen so genannt werden. Ist ja auch logisch, so weit, wie die dem Seemann entgegenkommen!« Er verschluckte sich fast, so heftig musste er über seinen eigenen Witz lachen. Er hätte sich wohl noch länger mit dem Thema vergnügt, wenn nicht in diesem Moment das Telefon geklingelt hätte.
    Kästner ruderte mit den Armen, als müsse er ein Flugzeug bei der Landung einweisen, und verkündete, er sei nicht da.
    Pieplow nahm den Hörer ab und meldete sich mit ruhiger, Vertrauen einflößender Stimme. »Polizeistation Hiddensee, Obermeister Pieplow.«
    Im Hörer knackte und knisterte es.
    »Hallo? Hier ist die Polizei Hiddensee. Sprechen Sie bitte deutlicher!«, rief er in das Rauschen, obwohl auf der anderen Seite noch gar nichts gesagt worden war. Er presste den Hörer fest an sein Ohr, lauschte angestrengt und kniff die Augen zusammen. Trotzdem verstand er nur, dass am anderen Ende jemand ebenfalls »Hallo!« rief. Mehrmals und immer aufgeregter. Dazwischen Wörter, von denen nur Fetzen übrig waren. »Zei…« schnappte Pieplow auf und »Kochen«. Sonst nichts, worauf er sich einen Reim hätte machen können. Dann brach die Verbindung ab.
    Kästners fragenden Blick quittierte Pieplow mit einem Schulterzucken. »Netz zusammengebrochen«, vermutete er. »Wenn es wichtig war, melden die sich bestimmt gleich wieder.«
    »Scheiß Handys«, fluchte Kästner, der sich an alles Neue nur widerwillig gewöhnte und ein herkömmliches Telefon pro Haushalt schon für Luxus hielt. »Früher hatten wir gar keins und sind auch zurechtgekommen. Heute binden sie sich die Dinger noch um den Bauch, wenn sie splitterfasernackt den Strand lang laufen.«
    Pieplow hörte dem Lamento seines Vorgesetzten nur mit halbem Ohr zu. Er wartete gespannt auf den nächsten Versuch des Anrufers und ließ den Dienstapparat keinen Moment aus den Augen.
    Aufgeregt hatte die Stimme geklungen, fast hysterisch. Um keine Zeit zu verlieren, wenn der Anruf tatsächlich kam, zog er schon mal seine Uniformjacke an, knöpfte sie zu und legte den Autoschlüssel griffbereit vor sich hin.
    Das Telefon klingelte.
    Doch als Pieplow sich meldete, war
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