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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen
Autoren: Birgit Lautenbach
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vorstellte, dann sollte er eben als Fischer schuften.
    Dass ausgerechnet ihr Schwager, der Mann ihrer Schwester, es war, der ihrem Ältesten diese Flausen in den Kopf setzte, machte sie zornig.
    »Ach was, Atlantik, Pazifik. Die Ostsee reicht hin. Hör auf mit deinen Abenteuergeschichten, du bringst uns den Jungen nur durcheinander«, fiel sie ihm ins Wort, wenn die Männer bei Kaffee und Schnaps am Tisch saßen und er seine Geschichten erzählte. Von brüllender See und haushohen Brechern, die tonnenschwer über Deck krachten. Von Seeungeheuern im Sargassomeer und toten Pferden unter den Rossbreiten. Westindien, Brasilien, Australien. Und immer wieder Kap Hoorn, das er als junger Mann umsegelt hatte.
    »Da wird man ein anderer Mensch, und eine Mutter kann stolz sein auf einen Sohn, der Kap Hoorner ist.« Der Kapitänsschwager sah sie bedeutungsvoll an und kippte seinen Schnaps.
    »Wenn er zum Stolzsein noch da ist und nicht irgendwo zwischen Westindien und Brasilien verschollen oder am Fieber gestorben.« Friedrichs Mutter rumpelte und schepperte dann mit dem Geschirr, als legte sie es darauf an, dass etwas zu Bruch ging. Nie würde sie ihre Zustimmung geben.
    Ganz jämmerlich war Friedrich zumute, wenn er daran dachte, dass er womöglich sein ganzes Leben damit zubringen musste, Sommergästen Waren über den Ladentisch zu reichen. Waren, die andere, Glücklichere, aus Ländern hierherbrachten, die er niemals sehen würde.
    Aber dann meldete sich sein Vater zu Wort.
    »Es sind viele auf See«, sagte er ruhig und sah Friedrich lange an. »Denen hat die Ostsee nicht gereicht. Nachts raus und tags wieder zurück und im Winter an Land, das ist eben nichts für sie. Die brauchen die große Fahrt, das ganze Jahr und um die ganze Welt. Und wenn Friedrich so einer ist, dann soll er wohl gehen dürfen.«
    »Du bist nicht gescheit, Mann! Als wenn er hier nicht sein Tun hat. Die Fischerei, der Hof, und wenn aus dem Stall …«
    Aber der Vater fiel ihr ins Wort, bevor sie ihren Plan mit den Fremdenzimmern im Stall ins Feld führen konnte.
    »Das ist Frauenarbeit«, sagte er aufgebracht und sog so heftig an seiner Pfeife, dass der Tabak glühte. »Und wenn Friedrich zur See will, dann soll er das in Gottes Namen tun. Meinen Segen hat er.« Damit war es beschlossen. Ein paar Monate Schule noch und die Konfirmation und dann auf große Fahrt. Das ganze Jahr und um die ganze Welt.
    Die Seekiste gab es vom Onkel. Schwer und wasserdicht, damit überkommende See ihr nichts anhaben konnte, stand sie tagelang fertig gepackt in der Diele. Daneben der Seesack mit Ölzeug und Stiefeln, in denen Friedrich den Seemannsgang übte und sich gebärdete, als habe er Kap Hoorn schon hinter sich.
    Dabei sollte es nur mit der Regina Witt von Stralsund nach Riga gehen, und seine Abenteuer würden aus Putzen und Schrubben bestehen, bis sich die Haut von den Fingern löste. In die finstersten Winkel der Regina würde er kriechen müssen, den Rost von den Wänden klopfen und sie neu streichen, bis er wie dun war vom Gestank und vom ewigen Rollen und Schlingern des Schiffs.
    Anfang April war es so weit. Wir standen am Bollwerk, Clara, Lissi und ich, und winkten ihm nach, bis das Segel nur noch ein heller Punkt auf dem Bodden war.

3
    Im Inselblick war die Welt noch in Ordnung. Warmes Licht, gutes Essen, am großen Tisch rechts von der Theke ausgelassene Urlauber.
    »Wie geht’s dem Polizeifuß, Pieplow?« Der Wirt zapfte ein halbes Dutzend Biere gleichzeitig und hatte gute Laune.
    »Ganz gut, glaube ich. In zwei Wochen kommt der Verband weg, dann ist er wieder voll einsatzfähig.« Pieplow war froh, dass es nicht sein Fuß und seine Italienreise waren, die für allgemeine Heiterkeit sorgten.
    »Erst wochenlang ›O sole mio‹ und die ›Caprifischer‹ pfeifen und sich dann am Strand die Knochen brechen. Hätt’ er hier auch haben können«, feixten die Hiddenseer. »Am Toten Kerl liegen doch Steine genug, und Ischias kriegste im Winter umsonst.«
    Dass die heiße Quelle am Strand von Ischia, über die Kästner mit so unglücklichem Ausgang hinweggesprungen war, in seinen Schilderungen einem Vulkanausbruch immer ähnlicher wurde, gab dem Spott nur zusätzliche Nahrung.
    Pieplow hielt sich da raus. Ihm genügte, dass Schluss war mit den Caprifischern.
    »Und sonst? Gibt’s was Neues?«
    Wieder einmal konnte Pieplow feststellen, dass die Buschtrommeln funktionierten. Im Herbst und Winter sogar noch besser als im Sommer, wenn jeder alle Hände voll zu
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