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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom
Autoren: Martin Clauß
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enden.
    Irgendwann spürte er die Wärme eines Körpers an seiner Seite. Mühsam drehte er den Kopf und erkannte Charmaine. Sie sprachen kein Wort, sahen sich nicht einmal richtig an, starrten nur auf den Kadaver, dessen Muskulatur nun endlich die sinnlosen Bewegungen aufgab.
    Samuel war es, der die Frage stellte: „Wie … konnte das geschehen?“ Es war klar, dass er keine Antwort erwartete.
    Konrad gab dennoch eine. Allerdings erst viel später, als die beiden Männer das tote Reh in den Wald trugen. „Hier ereignet sich mehr als nur ein Spukphänomen in der Eingangshalle. Es wird am besten sein, deinen Rat zu befolgen und einen Priester nach Falkengrund zu holen.“
    Als er Charmaine später von diesem Vorhaben berichtete, zeigte sie sich wenig begeistert. Ihrer Meinung nach würde ein Mann der Kirche nur Unfrieden stiften. Konrad dachte lange über diese Formulierung nach. Er fragte sich, was sie von einem Priester zu befürchten haben sollten. War nicht vielmehr nur Charmaine es, die sich vor dem Geistlichen, seinen Segnungen und Austreibungen zu fürchten hatte?
    Benahm sie sich nicht beinahe schon wie jemand, der von einem Dämon besessen war?
    Gründlich wusch sich Konrad das Blut des Rehs von den Händen und aus den Kleidern. Der Anblick des von Fliegen umschwärmten Kadavers war schwer zu vergessen. Als er am Nachmittag noch einen einsamen Spaziergang um das Anwesen unternahm, fiel ihm ein Fuchs und ein Hase auf, die sich, jeder für sich, dem Schloss näherten. Obwohl die beiden Tiere sich sehen konnten und zweifellos auch schon längst Witterung voneinander aufgenommen hatten, ignorierten sie sich gegenseitig vollständig. Der Hase verzichtete darauf, die Flucht zu ergreifen, und den Fuchs schien das Beutetier nicht zu interessieren.
    Konrad verfolgte die beiden Tiere mit den Blicken, bis der Fuchs zu taumeln begann. Er driftete zur Seite wie ein Schiff, das Schlagseite hatte, trippelte ungeschickt seitwärts und schlenkerte den Kopf hin und her, schlug ihn sogar gegen den Boden.
    Der Hase hielt länger durch. Hoppelnd erreichte Meister Lampe die Rückwand von Schloss Falkengrund. Doch dort war sein Weg zu Ende. Er wollte offenbar ins Haus, denn er kratzte und knabberte an der Mauer, freilich ohne Erfolg.
    Der Mann wusste nicht, was er tun sollte. Gerne hätte er Samuel gerufen, doch er fürchtete, dass Charmaine dann auch von der Sache erfahren würde, und sie wollte er lieber nicht bei sich haben.
    Charmaine allerdings tauchte auf, ohne dass er sie rief. Als er sich umsah, stand sie bereits hinter ihm, und ihr ernster, aber ruhiger Gesichtsausdruck bewies, dass sie die Szene schon geraume Zeit verfolgte. „ C’est moi qu’il cherche “, raunte sie, und Konrad riss die Augen auf. Sein Französisch war rudimentär. Hatte sie eben tatsächlich gesagt: „Ich bin es, die er sucht“?
    Und wieso klang das so merkwürdig plausibel?
    Sie kam näher, und er stellte sich ihr in den Weg, als sie auf den Hasen zuhielt. „Nicht“, sagte er. „Er wird sterben. Ich habe da draußen einen Fuchs gesehen, der ist auch verendet. Irgendein Fluch liegt auf den Tieren.“
    Sie nickte. „ Ein Fluk, den isch kann lindärn … “ Charmaine versuchte sich an ihm vorbei zu drängen. Konrad hielt sie auf und war beinahe dankbar, als eintrat, was er prophezeit hatte.
    Der Hase gab ein knarrendes Geräusch von sich. Seine Ohren zitterten, und Blut drang aus ihnen hervor, strömte über das gesträubte Fell. Konrad wandte sich ab, während Charmaine den Todeskampf des Tieres beobachtete, mit großem Interesse, wie es schien.
    In dieser Nacht wehrte er sie zum ersten Mal ab, als sie in sein Zimmer kam, um mit ihm Zärtlichkeiten auszutauschen. Es war nicht so sehr die Angst, der Spuk der letzten Nacht könne wieder auftauchen. Charmaine war ihm unheimlich geworden. Er begriff, dass er sie falsch eingeschätzt hatte. Ihre Gabe hatte ihn fasziniert, aber deswegen hatte er trotzdem nicht viel mehr in ihr gesehen als ein hübsches, einfaches Mädchen, das brav an seiner Seite bleiben würde, solange er es wünschte. Seine Gedankengänge waren zu schlicht gewesen. Er hatte nicht verstanden, dass es Folgen haben würde, haben musste, eine Person mit einer übersinnlichen Begabung an einen Ort zu bringen, an dem übernatürliche Dinge geschahen.
    Solche Mächte, wie sie in Falkengrund und in ihr wirkten, bestanden nicht einfach nebeneinander her, ohne sich zu beeinflussen und zu interagieren. Brachte man sie zusammen, hatte das
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