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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom
Autoren: Martin Clauß
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Händen, schien er seine Passagierin zu entdecken.
    „Schnell“, würgte er mit beinahe fremder Stimme hervor. „Rauf …“
    „Was ist denn passiert?“
    Der Kutscher schien nach Worten der Erklärung zu suchen, doch offenbar fielen ihm keine ein. „Schnell“, ächzte er. Auch die Pferde wurden jetzt unruhig, scharrten die Erde auf, warfen ihre Köpfe hin und her.
    „Ich bleibe hier“, entschied die Siebzehnjährige, auch wenn ihr nun eine Gänsehaut über den Rücken lief, die sehr unangenehm war, schmerzhaft beinahe.
    „Der … Teu-… Der-der-der Teu-…“
    „Der Teufel?“, vervollständigte sie das Wort. Er nickte nicht, sondern riss nur die Augen noch weiter auf. Seine Blicke jagten über die Szenerie, leckten an dem Gebäude auf und ab und fuhren über das wogende Gras, als erwarte er, dass dort jeden Augenblick etwas Furchtbares auftauchte.
    „Fahren Sie schon!“, forderte sie ihn auf. „Ich habe keine Angst.“
    Das ließ sich der Kutscher nicht zweimal sagen. Und auch die Pferde schienen nur auf ihre Worte gewartet zu haben. Sie drängten los, noch ehe er das Signal gab. Die Kutsche beschrieb eine enge Kurve vor dem Haus, bei der sie beinahe umkippte. Das Holz streifte an der Mauer, als das Fahrzeug mit knapper Not das Tor passierte. Die junge Frau sah der Kutsche nach. Ein seltsam unwirkliches Gefühl breitete sich ihr aus. Der Wind zerzauste ihre Haare und zerrte an ihrem Rock. Langsam stieg sie von der Kiste herunter.
    Und fuhr erschrocken zusammen.
    Zwischen ihr und dem Haus stand ein junger Mann, nicht sehr groß und von blasser, eher schwächlicher Erscheinung. Das leicht angelehnte Portal hinter ihm zeigte, woher er derart plötzlich aufgetaucht war. Das unerklärliche Verhalten ihres Chauffeurs hatte die Frau so sehr beschäftigt, dass sie nicht bemerkt hatte, wie sich die Tür öffnete.
    „Sie sind nicht etwa schon Fräulein Zeiss?“, erkundigte sich der Mann höflich – und etwas schüchtern, wie es schien.
    „Das bin ich. Edeltraud Zeiss. Sie haben mich erwartet?“
    „Heute noch nicht“, lautete die aufrichtige Antwort. „Das Antwortschreiben habe ich erst heute Morgen zur Post gebracht.“
    „Ungeduld“, lächelte sie. „Eine meiner wenigen unangenehmen Eigenschaften.“
    „Ich bin sicher, Sie haben viele angenehme Eigenschaften aufzuweisen“, sprach er ein artiges Kompliment aus und wurde rot, als schäme er sich dafür, es gesagt zu haben. Er schüttelte ihre Hand. „Das Antwortschreiben war positiv. Wir suchen interessierte junge Menschen wie Sie. Ach ja, mein Name ist Samuel Rosenberg. War das Ihr Kutscher, der da eben so … laut wurde? Er hatte es eilig. Außerordentlich eilig. Wir leben in einer hektischen Zeit.“
    Sie nickte etwas ratlos, überlegte verbissen, ob sie ihm reinen Wein einschenken sollte. „Ich fürchte, er hat sich erschrocken. Nur kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wovor. Er ist um das Haus herumgegangen, und auf einmal …“
    „Wahrscheinlich hat ihn die Rückwand etwas überrascht. Sie enthält verschiedene Reliefs, manche davon ein wenig eigenartig. Das kann zarte Gemüter durchaus irritieren.“
    Edeltraud erwähnte nicht, dass ihr Kutscher alles andere als ein zartes Gemüt zu nennen war. „Kann ich mir die Rückwand einmal ansehen?“, fragte sie stattdessen.
    „Sicher.“ Rosenberg hob die Schultern. „Sie sind eine beherzte junge Frau. Machen wir eine Runde. Vielleicht hat sich bis dahin jemand eingefunden, der Ihr Gepäck hineinträgt. Vinzenz, der Hausdiener, müsste sich eigentlich langsam sehen lassen.“
    „Sie sind kein Student“, stellte sie fest, während sie langsam in die Richtung schlenderten, in die ihr Kutscher vor wenigen Minuten gegangen war.
    „Nein, oder zumindest nicht in erster Linie. Mir gehört das Schloss. Das heißt, eigentlich gehört es allen, die es als ihr Zuhause betrachten wollen. Aber irgendjemand musste das Geld über den Tisch schieben.“
    „ Sie haben das Geld also geschoben.“
    Er schmunzelte und nickte stumm.
    „Dann müssen Sie sehr wohlhabend sein.“ Ein reicher Jude. Sie hatte nicht damit gerechnet, an einem solchen Ort auf einen zu treffen. Aber waren sie nicht überall? Ihr Vater zumindest behauptete es. Er verglich die Juden mit einem Polypen. Der Vergleich schien so gar nicht auf diesen adretten jungen Mann zu passen.
    „Es gibt wohl schlechtere Partien, ja“, scherzte er. Kaum waren die Worte über seine Lippen, wandte er sich verschämt ab. „Hier sind wir
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