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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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  … ihre Handynummer gegeben hat.
    «David   …», krächzt sie heiser.
    «Ich muss Sie töten», teilt David ihr mit. «Sie wissen doch jetzt von Lucy.»
    «Warum haben Sie das getan?», fragt Ruth. Sie will es wirklich wissen, auch wenn sie sich darüber im Klaren ist, dass es womöglich die letzten Worte sein könnten, die sie hört.
    «Warum?», wiederholt David erstaunt. «Na, um Gesellschaft zu haben natürlich.»
    Er kommt mit gezücktem Messer auf sie zu. Ruth weicht zurück und überlegt dabei fieberhaft, welche Möglichkeiten ihr jetzt noch bleiben. Sie befinden sich auf einer höhergelegenen Böschung, hinter David beginnt der Tümpel, an dem sie vorhin vorbeigerannt ist. Sie hat keine Ahnung, wie tief er ist. Doch selbst wenn es ihr gelingen sollte, an David vorbeizukommen, wird sie kaum im Dunkeln dieses Wasserloch durchschwimmen können. Hinter ihr sind die Dünen und das Meer, das unerbittlich näher kommt. Ruth ist völlig erschöpft, außerdem hat sie Übergewicht; ihr ist klar, dass David sie jederzeit einholen würde. Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen. Will sie um Gnade flehen? Sie weiß es selbst nicht. Doch da dringt ein seltsamer Laut durch die Nacht. Drei hallende Rufe, gellend und gleichmäßig. Das gleiche Geräusch, das Ruth vorhin schon gehört hat, gleich neben dem Unterstand. David starrt sie an, seine Miene ist wie versteinert.
    «Haben Sie das gehört?», flüstert er.
    Dann dreht er sich um, ohne ihre Antwort abzuwarten, und folgt den Rufen, die jetzt wieder ertönen. Da ruftes, ruft immer wieder über das schwarze Moor hinweg. Ist es die Stimme eines toten Kindes? Die Stimme eines Irrlichts? Im Augenblick wäre Ruth bereit, alles zu glauben. Auch sie geht in die Richtung, aus der die Rufe kommen.
    Was dann passiert, gleicht einem Traum, vielleicht auch einem Albtraum. David wandelt wie in Trance mitten in den Tümpel hinein. Er steht bereits bis zur Taille im Wasser, scheint das aber gar nicht zu bemerken. Ruth sieht, wie sich seine gelbe Jacke gleichmäßig durch das tintenschwarze Wasser bewegt. Dann reißen die Wolken auf, und sie erkennt eine Gestalt am anderen Ufer, eine Gestalt in einer dunklen Jacke, die ihr bis zu den Knien reicht. Lucy. Ihre Haltung wirkt so beherrscht und entschlossen, dass es fast beängstigend ist. Und plötzlich hat Ruth keinen Zweifel mehr, dass Lucy diese schauerlichen, gespenstischen Rufe ausstößt.
    David hingegen scheint keinem klaren Gedanken mehr zugänglich. Mit hocherhobenem Kopf geht er durch das Wasser, wie von unsichtbaren Fäden gezogen. Und dann, so plötzlich, dass niemand auch nur aufschreien kann, bricht eine gewaltige, von weißer Gischt gekrönte Welle über die Sandbank hinein in den Tümpel, David verliert das Gleichgewicht und wird ins Wasser gerissen. Eine zweite Welle folgt der ersten und verwandelt den kleinen See in einen brodelnden Hexenkessel. Ruth spürt die Gischt im Gesicht und schließt die Augen. Als sie wieder hinschaut, ist die Wasseroberfläche ruhig, und David ist verschwunden.
    Erst jetzt schreit Ruth auf, obwohl sie weiß, dass niemand sie hören kann. Ebenso gut weiß sie, dass man für David nichts mehr tun kann, und sie ist überrascht von dem starken Impuls, ihn zu retten. Offenbar kann selbst der Tod eines Mörders noch Mitgefühl auslösen.
    Da taucht eine weitere Gestalt am anderen Ufer auf, breitschultrig und hochgewachsen. Nelson. Er ruft ihr etwaszu, doch Ruth versteht kein Wort. Gleich darauf ist über ihnen ein Lärm zu hören wie von gewaltigem Flügelschlagen. Ein Polizeihubschrauber taucht auf, dessen Rotoren das schwarze Wasser aufwühlen. Er kreist kurz über dem Tümpel und fliegt dann weiter in Richtung Meer. Die Wasseroberfläche ist wieder glatt und ruhig.
    Ruth kriecht die Kiesbank am Südufer des Tümpels auf allen vieren entlang. Es ist weiter, als sie gedacht hat, und sie ist inzwischen mehr als erschöpft. Der Hubschrauberlärm verklingt, stattdessen hört sie Rufe und fernes Hundegebell.
    Als sie das andere Ufer erreicht, sind auch die Polizeihunde eingetroffen. Echte Bluthunde, die an ihren Leinen zerren und deren dumpfes, dröhnendes Bellen aus einer anderen Epoche zu kommen scheint. Bei Nelson ist sie genau in dem Moment, als er mit wachsendem Staunen das Mädchen neben sich mustert.
    «Nelson», sagt Ruth. «Darf ich dir Lucy Downey vorstellen?»

31
    Ruth geht über den Sand. Es ist Anfang März, und obwohl der Wind noch kühl ist, liegt bereits ein Hauch von Frühling in
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