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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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sieht Ruth, dass er ein Messer in der Hand hält. Ein äußerst ernstzunehmendes Messer, dessen furchige Klinge im Mondlicht schimmert.
    «Lauf!», schreit sie, zieht Lucy hinter sich her und hechtet an David vorbei hinaus in die Nacht.

30
    Ruth rennt und hält Lucys Hand dabei fest umklammert. Sie weiß nicht, wo sie hinläuft, verschwendet auch keinen Gedanken an die Flut oder das Moor und spürt den Wind und den Regen kaum. Alles, was sie weiß, ist, dass sie um ihr Leben laufen. Ein Mörder ist ihnen auf den Fersen, ein Mann, der schon einmal getötet hat und nun fest entschlossen ist, sie zum Schweigen zu bringen. Lucy neben ihr läuft erstaunlich gut und fast geräuschlos, und Ruth hält eisern ihre Hand umklammert. Sie darfLucy auf keinen Fall loslassen. Allein im Dunkeln, mitten im Moor, hätte sie keine Chance.
    Hinter sich hört sie David. Er watet durch den Wasserlauf, den sie eben überquert haben. Sie muss die Richtung ändern, nach Hause laufen. Aber wo ist das? Abrupt wendet sie sich nach links und findet sich vor einem tiefen Wasserloch wieder. Als sie weiterläuft, wird der Boden weicher und weicher unter ihren Füßen. Großer Gott, sie müssen ins Watt geraten sein. Plötzlich sieht sie wieder Peter vor sich, wie er zehn Jahre zuvor um Hilfe rief, während die Flut immer näher kam. Damals hat Erik ihn gerettet, doch der wird Ruth ganz sicher nicht helfen.
    Dann hört sie plötzlich etwas. Fast kommt es ihr vor, als würde Eriks Stimme über die Jahre hinweg an ihr Ohr dringen. Sie bleibt stehen und lauscht. Es klang fast, als hätte jemand «Polizei» gerufen. Aber das hat sie sich wohl nur eingebildet.
    Vor allem war es ein Fehler stehen zu bleiben, denn nun taucht, erschreckend plötzlich, Davids Gesicht vor ihnen aus dem Dunkel auf. Ruth schreit auf, und Lucy reißt sich von ihr los.
    «Lucy!», brüllt Ruth.
    David stürzt sich auf Ruth und bekommt sie am Fuß zu fassen. Sie tritt nach ihm, er fällt nach hinten, und Ruth nimmt erneut die Beine in die Hand. Sie muss Lucy vor David finden.
    Doch David ist direkt hinter ihr. Sie hört seinen keuchenden Atem, hört das Wasser platschen, als er durch den Tümpel watet. In heller Verzweiflung dreht Ruth sich um und steht plötzlich vor einem sandigen Hang, den sie hinaufkraxelt. Eine Düne. Sie muss ganz nah am Meer sein, doch sie hat den Gedanken noch kaum zu Ende gedacht, als sie auf der anderen Seite der Düne hinunterfällt und im Wasser landet. Salzwasser. Und vor ihr erstreckt sich dasNichts. Tintenschwarzes Meer, mit weißen Schaumkronen gesprenkelt, die sich erbarmungslos auf sie zubewegen. Sie dreht sich um und watet den schmalen Wasserlauf entlang landeinwärts. Wo ist Lucy? Sie muss sie unbedingt finden.
    Da sieht sie vor sich im Wasser einen dunklen, quadratischen Umriss, und als sie darauf zugeht, erkennt sie, was es ist: ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, ein kleiner Backsteinbau, etwa einen Meter hoch. Solche Bunker findet man überall im Moor. Weil Ruth nicht weiß, was sie sonst tun soll, klettert sie hinauf. Auf der anderen Seite liegen die Dünen, wo sie vor der Flut sicher ist. Sie springt und kommt schwer auf der Böschung auf. Einen Moment lang empfindet sie etwas wie Euphorie. Sie hat es geschafft! Ruth, die Superfrau!
    Doch das Hochgefühl ist nur von kurzer Dauer. Vor ihr, das Messer in der Hand, steht David.
     
    Nelson rennt querfeldein über das Salzmoor. Er merkt kaum, dass er immer wieder stürzt, ins Wasser stolpert und sich wieder hochrappelt. Hinter sich hört er Cathbad rufen, irgendetwas von Flut und Watt, doch er achtet nicht darauf. Jemand hat geschrien. Ruth ist in Gefahr.
    «Polizei!», ruft er. «Keine Bewegung!»
    Er hat nicht einmal seine Waffe bei sich – was soll er tun, wenn er an Ort und Stelle ist? Doch auch daran verschwendet er keinen Gedanken, rennt einfach nur stur weiter.
    Dann taucht vor ihm aus der immer gleichen Dunkelheit der Umriss des Unterstands auf. Nelson eilt darauf zu.
    Der Unterstand wirkt verlassen und leicht bedrohlich im Mondschein. Nelson eilt die Stufen hinauf und schaut in die dunkle Öffnung der Falltür hinunter. Gut, dass er Cathbad die Taschenlampe abgenommen hat. Ihr Lichtstrahl erhellt eine unterirdische Kammer.
    «Großer Gott», murmelt Nelson.
     
    «Tut mir leid, Ruth», sagt David, und seine Stimme klingt auch jetzt noch ganz normal, wie immer. Es ist die Stimme des zurückhaltenden, hilfsbereiten Nachbarn, der ihre Katze füttert und dem sie   … großer Gott!
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