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Totenpfad

Totenpfad

Titel: Totenpfad
Autoren: Elly Griffiths , Tanja Handels
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nach Norwegen gereist. Trotz allem, was vorgefallen ist, empfindet sie doch noch Zuneigung für ihn – und für Magda. Erik hat immer erklärt, ein Wikingerbegräbnis haben zu wollen. Ruth hat ihn noch genau vor Augen, am Lagerfeuer, den großen Geschichtenerzähler: «Und das Schiff segelt ins Abendlicht hinaus. Der Tote ruht, das Schwert an seiner Seite, den Schild auf der Brust. Und dann die Flamme, das Aufflackern des reinigenden Feuers, das ihn nach Walhalla führt, wo er Thor und Odin zur Seite sitzt, bis sich die Welt dereinst erneuern wird   …» Und so haben sie seine Urne auf ein hölzernes Boot gestellt, das Lars, Magdas Liebhaber, extra zu diesem Zweck gebaut hat, es angezündet und auf den See hinausgeschickt, wo es die ganze Nacht hindurch loderte und auch am Morgen noch sanft glomm.
    «Weißt du   …» Magda sah Ruth an, und der Widerschein des Feuers spielte sanft auf ihrem Gesicht. «Wir waren glücklich miteinander.» «Ich weiß», sagte Ruth.
    Und es stimmt ja auch. Magda und Erik waren glücklich miteinander, trotz Shona und Lars und all den anderen. Und auch Ruth selbst liebt Erik immer noch, trotz der Briefe, trotz des Verrats, trotz des kalten Glanzes, den sie in seinen blauen Augen gesehen hat. In den letzten paar Wochen hat sie eine ganze Menge über Liebe gelernt. Nach der Rückkehr aus Norwegen ist sie heim nach Eltham gefahren. Sie ist mit ihrer Mutter zum Einkaufen gegangen,sie hat Scrabble mit ihrem Vater gespielt und die beiden sogar in die Kirche begleitet. Sie ist sich zwar nach wie vor sicher, dass sie nie an Gott glauben wird, aber es scheint ihr plötzlich nicht mehr so wichtig, ihren Eltern diesen Umstand ständig unter die Nase zu reiben. Als sie Lucy in diesem scheußlichen Kellerloch in den Armen hielt, hat sie auf wundersame Weise auch einen Weg zurück zu ihrer eigenen Mutter gefunden. Vielleicht hat sie auch nur den Wert des Mütterlichen schätzen gelernt, den Wert einer Liebe, die sich niemals ändert, ganz gleich, wie viele Jahre vergehen, einer Liebe, die nicht abnimmt, auch wenn sie sich nur noch in abgegriffenen Phrasen ausdrückt.
    Erik wurde keines Verbrechens beschuldigt, und auch die Anklage gegen Cathbad wegen wissentlicher Irreführung der Behörden wurde stillschweigend fallengelassen. Die Briefe mit ihren verstörenden Äußerungen über Leben, Tod und Auferstehung wurden unter Verschluss gehalten. Trotzdem denkt Ruth hin und wieder daran. Sie fragt sich, weshalb Erik und Shona sie geschrieben haben, wie Erik Nelson so sehr verabscheuen konnte, dass er sogar in Kauf nahm, einem Mörder behilflich zu sein. Hat ihn wirklich nur die Trauer um James Agar dazu gebracht, oder war auch Hochmut im Spiel, die einzigartige Gelegenheit, seine Intelligenz gegen die der Polizei auszuspielen, die in seinen Augen das Spießbürgertum verkörpert? Ruth wird es nie erfahren.
    Cathbad hat die fallengelassene Klage mit einem spirituellen Reinigungsritual am Strand gefeiert, das durchaus Ähnlichkeit mit einem Wikingerbegräbnis aufwies und im Wesentlichen darin bestand, um ein heiliges Feuer zu tanzen. Er hat auch Nelson dazu eingeladen, doch der hat dankend abgelehnt. Trotzdem sind Nelson und Cathbad Freunde geworden – ein anderes Wort dafür gibt es nicht. Nelson muss Cathbad wider Willen dafür bewundern, wiegelassen er während des Gewitters geblieben ist, wie sicher er ihn über das todbringende Moor geführt hat. Und Cathbad ist überzeugt, dass Nelson ihm das Leben gerettet hat, und erwähnt das bei jeder sich bietenden Gelegenheit, was wiederum Nelson längst nicht so unangenehm ist, wie er erwartet hätte.
    Ruth sieht Nelson über die Dünen herankommen. Er trägt Jeans und eine Lederjacke und schaut etwas argwöhnisch, als rechnete er jeden Moment damit, dass der Sand sich auftürmt und ihn verschlingt. Nelson wird das Salzmoor niemals lieben lernen. Er fand es immer schon unheimlich, und nun wird es ihn immer an Lucys Martyrium erinnern (direkt vor der Nase seiner Beamten!) und an den Tod.
    Er tritt zu Ruth, die direkt in der Mitte des Henge-Rings steht. Zumindest glaubt sie, dass es die Mitte ist; man kann sich da nicht mehr sicher sein, es sind nur noch ein paar schwarze Schlieren im Sand zu sehen.
    «Toller Treffpunkt», brummt Nelson. «Kilometerweit entfernt von überall.»
    «Ein bisschen Bewegung tut dir ganz gut», bemerkt Ruth.
    «Du hörst dich schon an wie Michelle.»
    Ruth hat Michelle inzwischen kennengelernt und fand sie erstaunlich sympathisch.
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