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Totenmond

Totenmond

Titel: Totenmond
Autoren: Sven Koch
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weggenommen worden – genau wie Ihr Zwillingsbruder. Er hat aus Sehnsucht nach ihr die Vereinigung mit Frauen gesucht. Sie hingegen wollen nur billige Rache.«
    »Kluges Mädchen«, schmunzelte Berner. »Mein Bruder ist ein Scheißkerl – du hast ihn getroffen?«
    »Wir haben ihn verhaftet. Aber ich kenne ihn nicht, nein.«
    Berner streckte sich. Dabei bohrte sich eine der Krallen etwas tiefer in das weiche Fleisch an Mias Hals. Alex schauderte. Am liebsten hätte sie sich auf Berner gestürzt und ihm mit bloßen Händen das Herz herausgerissen.
    Berner sagte: »Ich war fasziniert von dieser kleinen Drecksau Elmar und habe mich dafür interessiert, was er da so treibt.«
    »Sie waren zu feige, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Er weiß nichts von Ihnen.«
    »Er hat es nicht besser verdient, als dumm zu sterben und im Knast zu verrecken.«
    »Beides wird nicht geschehen. Und Sie, was haben Sie verdient?«
    »Eine Antwort – und zwar in genau zehn Sekunden.«
    »Eine Antwort worauf?«
    »Ob du Mia das Leben retten wirst. Wie eine Löwenmutter.« Das letzte Wort betonte er dramatisch.
    Alex fasste die Glock fester. Ihr ausgestreckter Arm begann zu schmerzen. Zwischen der Kunststoffverschalung und der Haut hatte sich ein Schweißfilm gebildet. Wie sie es drehte und wendete, standen die Chancen miserabel. Und das war es sicher, worauf es Berner ankam: seine Macht auszuspielen und zu genießen.
    »Lassen wir diese dämlichen Spiele, Berner.«
    »In nunmehr acht Sekunden werde ich Mia töten. Es sei denn, du erklärst dich bereit, ihr Leben zu retten. Und dich zu opfern.«
    Alex erstarrte. »Was?«
    »Dein Leben für ihres, Alex. Der Bohfimah ist hungrig, und er wartet nicht gerne.« Berner deutete mit der Stirn in Richtung des mit verwesendem Fleisch gespickten Lederbeutels. Er hing in Schulterhöhe hinter ihm an einem Seil und drehte sich langsam um die eigene Achse.
    Ein Test, dachte Alex. Das ist alles nur ein Test.
    »Fünf Sekunden«, sagte Berner. »Und weg mit der Waffe.« Er begann, in monotonem Singsang eine rituelle Formel in einer Sprache zu sprechen, die Alex noch nie gehört hatte. Sein Bizeps schwoll an. Nun lief ein weiterer Blutfaden über Mias Schulter. Berner würde ernst machen. Daran gab es keinerlei Zweifel.
    Es ist nur ein Test. Je fester du daran glaubst, umso leichter wird es.
    Berner unterbrach den Singsang. Er sagte: »Drei Sekunden.« Mit der linken Hand griff er in Mias Haarschopf, um ihren Kopf in den Nacken zu biegen und ihre Kehle freizulegen. Mia quiekte und schnaufte. Ihre Füße strampelten.
    »Zwei.«
    »In Ordnung.«
    Alex ging in die Hocke und legte die Glock auf den Boden. Dann hob sie beschwörend die Hände, stand wieder auf und betete, dass die Kollegen nach wie vor alles mithörten und Himmel und Hölle in Bewegung setzten, um hier endlich ein SEK einzuschleusen.
    »Lassen Sie Mia leben. Ich opfere mich.«
    Berner hielt inne. Er ließ Mias Haarschopf los. Die Kralle hielt ihren Kehlkopf nach wie vor umschlossen. »Zieh dich aus«, herrschte er Alex an.
    »Alles?«
    »Ausziehen.«
    »Ich trage keine verdeckten Waffen.«
    »Wenn du vor den Bohfimah trittst, um ihm dein Fleisch zu geben, will ich keine Überraschung erleben.«
    »Es wird keine geben.«
    »Ausziehen!« Berner kreischte mit sich überschlagender Stimme.
    Alex nickte. Sie wickelte den Schal ab und warf ihn auf den Boden. Dann zog sie die Jacke aus und ließ den Pullover folgen. Sie öffnete den Gürtel der Hose, schnürte die Stiefel auf. Wenige Augenblicke später lagen ihre Sachen auf einem Haufen zu ihren Füßen, und sie stand nur noch in Slip und BH da.
    »Alles«, sagte Berner, der sie mit leuchtenden Augen betrachtete.
    Alex zögerte einen Moment. Sie lauschte, ob aus den Gängen des Museums irgendetwas zu hören war, das auf die Präsenz einer Einsatzgruppe hindeutete. Aber da war nichts. Sie griff nach hinten und öffnete den BH-Verschluss. Dann zog sie den Slip aus. Nun stand sie vollkommen nackt im Raum.
    »Umdrehen«, sagte Berner.
    Alex folgte der Anweisung und streckte die Arme weit von sich. »Keine verdeckten Waffen. Wie ich gesagt habe«, erklärte sie. Wenn nur endlich Hilfe eintreffen würde. In einer halben Stunde sei ein Team so weit, hatte Veronika gesagt. Wie viel Zeit war seither verstrichen? Minuten? Stunden? In jedem Fall, dachte Alex, sollte sie sich nicht auf die Kollegen verlassen. Hier und jetzt gab es nur eine, auf die sie sich verlassen konnte – das war sie selbst. Und sie brauchte
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