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Totenmal

Totenmal

Titel: Totenmal
Autoren: Dietmar Lykk
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diejenigen, die hier Rettung vor der Obdachlosigkeit fanden, sofern sie ein gerade noch bewohnbares Wohnmobil oder einen Wohnwagen ihr Eigen nannten, gerade noch ein Dach über dem Kopf hatten, mit zwei oder vier Rädern unter dem verrotteten Bodenblech.
    An der verrufenen Kneipe am Platzeingang und einigen Schlägereien zwischen den Bewohnern machte die Regionalpresse inzwischen das Entstehen eines »sozialen Brennpunktes« fest. Die Politik müsse endlich »in die Pflicht genommen werden«, wurde schon seit Monaten in Presse und Fernsehen getönt.
    Sosehr Malbek diese Nachbarschaft abstieß, so sehr zog sie ihn an. Unerkannt mit diesen Leuten reden zu können, ihr Verhalten zu übernehmen und in Momenten als einer der Ihren akzeptiert zu werden, Geheimnisse des Überlebens kennenzulernen, so wie er es im Gefängnis hatte lernen müssen. Warum tat er sich das an, er wollte doch alles hinter sich lassen? Er wusste es nicht. Vielleicht half es einfach, sich die dunkle Vergangenheit im Gefängnis schön zu denken und den Rest zu vergessen. Den Rest, der ihn noch immer nachts schweißgebadet aus Alpträumen aufschrecken ließ.
    Und so hatte er sich hier in den letzten Monaten eingerichtet, anonym wie die anderen, die am Rande der Straße gestrandet waren. Irgendwo zwischen Kiel und Eckernförde. Als Mann, der wie die anderen sein tägliches Glück in mehr oder weniger legalen Gelegenheitsjobs suchte.
    Malbek hatte auf entsprechende Fragen immer geantwortet, dass er im Auftrag einer großen Firma verwertbare Informationen beschaffe. Was der Wahrheit ziemlich nahekam. Seit heute Morgen aber war seine Tarnung flöten gegangen. Er war nur noch ein Bulle für sie.
    Â»Strand zum Abgewöhnen«, sagte jemand hinter Malbek.
    Es war Kommissar Vehrs, der offensichtlich hinter seinem Chef hergegangen war, als der, in Gedanken versunken, in Richtung Strand gegangen war. Der Strand bestand zur Hauptsache aus scharfkantigen Steinen, die sich unter der Wasserlinie fortsetzten.
    Â»Den ersten Tag nach Ihrem Urlaub haben Sie sich anders vorgestellt, stimmt’s?«, sagte Vehrs mit einer Mischung aus Aufmunterung und angemessener Ernsthaftigkeit.
    Â»Ich bin Überraschungen gewohnt, das wissen Sie doch«, sagte Malbek und sah Vehrs schmunzelnd an.
    Vehrs schmunzelte zurück. Er freute sich wirklich. Malbek hatte das noch nie bei ihm gesehen. Begrüßung des Chefs gelungen. Ob er das vorher mit Hoyer abgesprochen hatte? Er war etwas schüchtern, und Hoyer hatte ihm mehr als einmal einen Schubs gegeben, wenn es darum ging, den Mund aufzumachen.
    Â»Dahinten bei dem Birkenwäldchen ist ein Stück Strand mit feinem Sand«, sagte Malbek und deutete Richtung Norden. »Wenn der Täter mit einem Boot gekommen ist, dann von dort. Lassen Sie uns mal sehen.«
    Sie gingen vorsichtig durch Strandgras und Disteln. Der Wind fächelte leise. Fliegen aller Größen und Farben umsurrten sie. Weniger weil es ein Stück unberührte, ursprüngliche Ostseeküste war, sondern mehr wegen der vielen Papierknäuel, die zwischen Kothaufen in verschiedenen Trocknungsphasen lagen. Der winzige Strandabschnitt am Birkenwäldchen war mit Zigarettenkippen, Toilettenpapier, Präservativen, Plastikbechern und zerbrochenen Schnaps- und Bierflaschen übersät.
    Â»Preblings Leute haben schon Wunder vollbracht, warum nicht auch hier«, sagte Malbek seufzend und informierte Prebling per Handy über die potenzielle Spurenfundgrube.
    Â»Wie geht’s bei Hoyer voran?«, fragte Malbek.
    Â»Das Übliche. Manche Nachbarn haben einen lauten Schrei gehört, manche sagten, es sei die ganze Nacht ungewöhnlich still gewesen, mehrere berichteten von einem Kratzen an ihren Fenstern und Türen, danach hätten sie ein hässliches Lachen gehört. Jemand hätte gejodelt. Von einem schwefligen Geruch wurde auch berichtet. Hoyer hat noch zwei Leute, dann ist sie durch die Gasse nebenan durch. Und Prebling fragt, ob Sie noch jemanden von der Gerichtsmedizin haben wollen.«
    Â»Moin, Herr Malbek! Schönen Urlaub gehabt?«, rief eine Männerstimme hinter Malbek launig.
    Malbek drehte sich um. Ausgerechnet Kommissar Harder.
    Â»Schon wieder Dauerdienst schieben?«, fragte Malbek. »Na ja, dann prägt sich die Routine besser ein, nicht wahr?«
    Malbek hatte es vorhin vermieden, ihn zu begrüßen. Harder war früher einmal einer von
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