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Totenmal

Totenmal

Titel: Totenmal
Autoren: Dietmar Lykk
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Höger löste seinen Blick von dem Riesenschiff und hatte
wieder sein spitzbübisches Lächeln aufgesetzt. »Ein Toter und keine Uhrzeit.
Das muss doch schrecklich sein für einen Kommissar, nich?«
    Â»Ja. Entsetzlich.« Malbek hätte ihm am
liebsten eine gescheuert.
    Â»Gucken Sie mal.« Höger zeigte mit dem
Finger schräg nach oben. »Da guckt die Sonne um diese Jahreszeit manchmal durch
den Nebel durch. Zwischen den Bäumen dahinten. Dann ist es halb zehn. Warum
soll ich meine Öljacke ausziehen und den Pulli hochrollen, um auf die Uhr zu
sehen?«
    Â»Es war also ungefähr halb zehn, gestern,
als Sie das letzte Mal hier waren und nach Ihren Reusen gesehen haben. Ist
Ihnen da etwas aufgefallen?«
    Â»Nö …«
    Â»Könnte es sein, dass Sie die Leiche
übersehen haben?«
    Â»Was?«
    Malbek sah ihn ernst an. Bitterernst.
    Â»Aber … so was übersieht man doch
nicht, Herr Kommissar …«
    Â»Doch. Wenn sie etwas weiter im Reet lag
und die Viecher sich da schon einmal satt gefressen haben, und dann in der
Reuse waren, bei dem Fang, den Sie gestern um halb zehn ungefähr ausgeräumt
haben.«
    Â»Das ist doch Tünkram, Herr Kommissar.«
    Â»Woher wollen Sie das denn wissen, wenn Sie
hier nichts Auffälliges gesehen haben?«
    Â»Ja, nee. Nee, ja. Ich hab doch
nichts …«
    Â»Ich nehme an, Ihre Kunden warten schon
ungeduldig auf Sie. Ihre Personalien haben wir ja. Ich wünsche Ihnen noch Petri
Heil, oder wie sagt man das unter Fischern?«
    Höger sagte gar nichts mehr und war
innerhalb von Sekunden in seinem Boot und im Nebel verschwunden.
    Malbek sah zu einem Containerfrachter, der
langsamer fuhr als die Schiffe vor ihm. An der Heckreling stand ein Mann und
winkte der Gruppe vermeintlicher Ausflügler am Bootssteg zu, bis er vom Nebel
verschluckt wurde.

2.
    Die Leitstelle stellte Kommissar
Harder in der Bezirkskriminalinspektion Kiel den Anruf einer jungen Frau durch,
die von einem Leichenfund auf Welle Nord gehört hatte und fragte, ob der schon
identifiziert worden sei. Sie würde nämlich ihren Freund seit vorgestern Abend
vermissen.
    Harder ließ sich ihre Telefonnummer und
Adresse geben und ging zu Malbek, der sein Zimmer auf der anderen Seite des
Flures hatte.
    Â»Dörte Schneider. Erzieherin, zurzeit
arbeitslos«, sagte Harder und legte ihm die Notiz auf den Schreibtisch. »Sie
sagte, ihr Freund sei Auszubildender bei der Reederei Molsen, mit Sitz in
Holtenau. Er wollte vorgestern Abend in der Holtenauer Schleuse von Bord gehen,
um eine Woche Urlaub zu machen. Sein Schiff ist die ›Christian Molsen‹.«
    Â»Wann ist Frau Schneider hier?«, fragte
Malbek.
    Â»Sie traut sich nicht aus der Wohnung. Sie
klang ziemlich verwirrt.«
    Â»Aber sie weiß doch noch gar nicht, ob es
ihr Freund ist.«
    Â»Sie sagt, sie fühlt es.«
    Â»Haben die da eine gemeinsame Wohnung?«
    Â»Ja.«
    Â»Na, denn schauen wir mal, wie sich das
anfühlt, was sie fühlt.«
    Dörte Schneider wohnte in
Kiel-Neumühlen, Langer Rehm 30, im zweiten Stock. Das Mietshaus lag an der vierspurigen
Ausfallstraße Richtung Laboe, und das Kieler Stadtzentrum war weit weg. Es war
eine der ehemaligen Wohnungen für Werftarbeiter, bis es mit den Howaldtswerken
bergab ging und die Betriebswohnungen an einen amerikanischen Immobilienkonzern
verkauft wurden.
    Der Name »Markus Peters« fand sich auf
einem kleinen handgeschriebenen Zettel am Briefkasten. An der Klingel und an
der Wohnungstür stand nur »Dörte Schneider« in verschnörkelter Schreibschrift
auf einem Emailleschild.
    Nachdem Malbek die Dienstmarke vor den
Türspion gehalten hatte, klapperte es hinter der Tür. Es dauerte, bis sie die
Türkette gelöst hatte. Zögernd öffnete sie die Tür. Ihre Augen lagen tief in
den Höhlen, der Ausschnitt des T-Shirts zeigte ihre durchsichtige Haut, die
sich über den Schulterknochen spannte. Die Augen waren schwarz ummalt, die Mascara
war verschmiert, und ihre halblangen schwarzen Haare waren fettig. Ihre Hände
zitterten.
    Harder sah Malbek mit aufgeblasenen Backen
an, als sie ins Wohnzimmer voranging. Vielleicht wollte sie ausgehen. Zur Feier
oder zur Trauer des Tages.
    Die Luft war stickig, und neben süßlichem
Parfüm erfüllte der saure Geruch von Erbrochenem und kaltem Zigarettenqualm die
Luft. Malbek hatte das Gefühl, eine heiße
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