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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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Eingeborenen?«
    Bosch zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht?«
    »Sie schnappen sich jeden Sklaven und jeden Gefangenen, den sie erwischen können, tätowieren ihm ein hübsches Muster ins Gesicht – natürlich kein echtes Moko –, dann schlagen sie ihm den Kopf ab und verkaufen ihn als toten Häuptling.«
    Bosch war ein wenig flau im Magen. »Unglaublich.«
    »Nicht wahr?« Henri seufzte. »Um 1830 wurde die Ausfuhr von Mokos aus Neuseeland zum Glück verboten.« Er runzelte die Stirn. »Es war wohl auch eine gewisse Marktsättigung eingetreten.«
    »Und was ist aus all den Köpfen geworden?«
    »Was ist aus all den Mumien geworden, die aus Ägypten verschleppt wurden?« Henris Stimme klang traurig. »Aus den ermordeten Hereros? Wer weiß, was allein in den Kellern der Berliner Charité noch alles lagert?« Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, die Mokomokai sind nur ein weiteres dunkles Kapitel der Menschheitsgeschichte.« Sie hatten das Ende des Saales erreicht. »So, und jetzt aber zu einem erfreulichen Teil unserer eigenen Sammlung.« Henri zog seine Hand unter Boschs Arm hervor und stieß die geschnitzte Tür auf. »Das Esszimmer, voilà .«
    Der Raum wurde wohl deshalb Esszimmer genannt, weil sich auch ein runder weißer Tisch und weiß lackierte Rokokostühle darin befanden. Die hohen Wände aber waren über und über mit kleinen Sockeln bedeckt, auf denen chinesische Vasen standen. In den tiefen Fensternischen waren Porzellantiere und Tonfiguren ausgestellt. Hinter einer Armee chinesischer Soldaten glitzerte der See in der Nachmittagssonne. Lichtreflexe tanzten auf einem Drachenbild über dem Kamin und hauchten dem Fabelwesen Leben ein. Es sah aus, als spielten die Muskeln unter seinem goldenen Fell.
    Henri war Boschs Blick gefolgt. »Der Drache dort drüben stammt aus der Hand des Zen-Meisters Kano Tanyu. Frühes 17.   Jahrhundert. Mein Großvater hat seinerzeit mehrere Asienreisen unternommen.« Er deutete auf zwei Tierfiguren, die neben dem Kamin hockten. »Hölzerne Löwenhunde aus dem 14.   Jahrhundert. Und das da«, er zeigte auf eine Art Buddha, »das ist ein chinesischer Heiliger aus der Yuan-Dynastie.« Er wandte sich mit einem Lächeln an Bosch. »Und? Was sagt der Kunsthistoriker?«
    Bosch gab keine Antwort. Er hatte angenommen, das Schloss beherberge die übliche Sammlung an Kuriositäten, die betuchte Reisende im 19.   Jahrhundert mit nach Hause gebracht hatten. Aber allein die Schätze, die in diesem Raum versammelt waren, übertrafen Boschs kühnste Erwartungen. Dies waren keine Reisemitbringsel, dies war das Ergebnis eines Plünderungszuges. Kulturgut hatte im 19.   Jahrhundert nicht auf legalem Weg aus China exportiert werden können.
    »Wie hat Ihr Großvater es denn bloß geschafft, die Sachen aus dem Land zu bringen?«
    Henri zuckte mit den Schultern. »Es wird wohl eine Frage des Preises gewesen sein.« Er seufzte. »Ich war immer der Meinung, dass die Todesstrafe nicht abschreckend wirkt.«
    In Boschs Erinnerung tauchte ein unscharfes Foto aus einem Bildband auf. Die Stadtmauer von Peking und darauf die abgeschlagenen Köpfe der Hingerichteten. Es musste zur Zeit Thibeault de Mortins aufgenommen worden sein.
    »Grand-père ist sozusagen auf den Spuren Marco Polos gereist«, fuhr Henri fort. »Wussten Sie übrigens, dass Marco Polo gar kein Venezianer gewesen ist?«
    Bosch schüttelte den Kopf.
    »Stammte aus Korčula. So ein kleines Piratennest in den Kornaten.« Er zwinkerte Bosch zu. »Na ja, später hat Grand-père dann seine Liebe für Südamerika entdeckt. Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihren Einsatzort.« Er setzte sich wieder in Bewegung.
    Erneut fielen Bosch die breiten Schultern und kräftigen Arme auf, die so ganz im Gegensatz zu dem ungelenken Gang Henris standen. Er musste unwillkürlich an einen Gorilla denken.
    Da drehte sich Henri um und deutete auf sein Bein. »Wir Archäologen verbringen unser halbes Leben auf den Knien, während wir mit der Kelle im Dreck anderer Leute wühlen.« Er grinste.
    »Also eine Berufskrankheit«, meinte Bosch. Henri umwehte der Hauch der Fremdenlegion, da war eine derart unspektakuläre Erklärung für sein kaputtes Bein doch ein wenig enttäuschend.
    Henri zwinkerte Bosch zu. »Kein allzu hoher Preis für ein Leben für die Wissenschaft, will mir scheinen.«
    Der Schlossherr führte ihn durch einen langen Gang, über schlichte Holzdielen, die unter jedem Schritt knarrten, vorbei an Glasvitrinen, in denen bunte Holzfiguren standen.
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