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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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Magier« hatte Bosch verworfen. Die Flammen, die aus dem Hut des Zauberers züngelten, hatte er hingegen nach einigem Überlegen gelassen. Die blauen Augen darunter waren von der Farbe Delfter Keramik. Sie standen ein wenig vor, wie Amphibienaugen, und passten zu den Wellen des Wolfgangsees, aus denen die Kreatur auftauchte. Das Bild hieß »Der Wassermann« und würde John von seiner Londoner Galerie in pures Entzücken versetzen.
    Eine Handvoll Passagiere lief über das Vorfeld zu einem wartenden Flugzeug. Bosch konnte Cesarios rote Jacke erkennen. Und den Rucksack, der im Rhythmus seiner Schritte auf und ab wippte. Bosch musste lächeln. Der Kerl hatte es geschafft, mit dem Kopf seines Urgroßvaters im Gepäck durch die Sicherheitskontrolle des Flughafens zu kommen. Die Triebwerke der Maschine liefen schon. Eine Stewardess begrüßte die einsteigenden Passagiere. Neben der Gangway stand ein kräftiger Mann in einem weißen Sommeranzug und schien noch auf jemanden zu warten. Er trug einen Panamahut und stützte sich auf einen Gehstock. Boschs Herzschlag beschleunigte sich. Er stand auf, um besser sehen zu können. Cesario lief, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Gangway hinauf. Der Mann in Weiß legte seine Hand auf das Treppengeländer und folgte dem Jungen. Aber er hinkte nicht.
    Bosch ließ sich auf seinen Stuhl sinken und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Dann wandte er sich um und winkte den Kellner herbei, der ein paar Tische weiter damit beschäftigt war, einen flatternden Sonnenschirm zu bändigen. »Die Rechnung bitte.«
    Bosch freute sich, an den Wolfgangsee zurückzukommen. Vielleicht war heute einer der letzten warmen Tage, an denen er und der Hund auf dem Steg zu Abend essen konnten.
    Coq au Vin. Ich wollte Sie mit einem Mittagessen überraschen – wenn ich nicht störe.
    Nein, nein, natürlich nicht. Sehr nett, dass Sie an mich denken.
    Wozu hat man Freunde?
    Bosch schaute wieder zur Festung hinüber. Das Wintersemester stand vor der Tür. Aber dieses Jahr würde es ohne ihn stattfinden. Vor ein paar Tagen hatte er der Universität einen Brief geschrieben und um ein Sabbatical-Jahr angesucht. Angesichts des Themas seiner Forschung war es ihm sofort gewährt worden – indianische Totenkulte.

Ines Eberl
    JAGABLUT
    Alpen Krimi
    ISBN 978-3-86358-091-9
     
     

Leseprobe zu Ines Eberl,
JAGABLUT
:
    EINS
    Mit der Nacht kam der Nebel. Er quoll über die gezackten
Berggipfel, ballte sich zusammen und kroch in Schwaden durch Felsrinnen und
Lärchenwälder die Bergflanke hinab. In der scharfen Luft lag eine erste Ahnung
von Schnee. Auf dem Holzschindeldach der Almhütte glitzerten Reifkristalle im
Schein des Oktobermondes, der hin und wieder durch die treibenden Wolken brach.
    Sanft berührte ein weißer Nebelschleier den Mann, der sich wenige
Schritte vor der Hütte auf dem feuchten Moos krümmte, legte sich wie eine
leichte Decke über ihn und überzog den groben Stoff seiner geflickten Jacke und
das abgeschabte Leder seiner Bundhose mit gefrierender Nässe. Der Mann spürte
die Kälte in seiner rechten Hand, wenn er immer wieder über das klamme Leder strich,
das seine gefühllosen Oberschenkel bedeckte. In seinem Rücken brannte ein
Feuer, und der Schmerz zwang ihn, so flach wie möglich zu atmen. Er wusste,
dass der Vollmond das Wetter umschlagen ließ. Im Laufe der Nacht würde der
Nebel aufreißen und sich auflösen, und sein schutzloser Körper würde der Kälte,
die sich schon jetzt schmerzhaft bemerkbar machte, schutzlos ausgeliefert sein.
Der Mann stützte seinen linken Ellenbogen auf und versuchte stöhnend, sich
aufzurichten.
    »Hilfe!«, rief er heiser. »Hilfe!«
    Mühsam verrenkte er den Kopf nach hinten und blickte zu den geschlossenen
Holzläden der Almhütte hinauf, vor der er auf der Hausbank seinen Rucksack und
den daran gelehnten Bergstutzen erkennen konnte. Mit einem tiefen Atemzug
krallte er die linke Hand in die Zweige des Wacholderstrauches, unter dem er
seit Stunden lag. Er versuchte, sich aufzusetzen. Der Schmerz in seinem Rücken
raste, das Blut dröhnte in seinen Ohren. Er schaffte es nicht. Er konnte sich
nicht hochziehen. Sein kräftiger vierundzwanzigjähriger Körper und die mit
Nässe vollgesogene Kleidung waren zu schwer für seine ermüdeten Arme.
    Der Mann zitterte so heftig, dass er sich nicht mehr an den Zweigen
festhalten konnte. Erschöpft ließ er sich wieder auf den feuchten Loden seines
Wetterflecks sinken.
    »Hilfe«, murmelte er. »Hilfe.«
    Nach und
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