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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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weiterzuführen. Henri hatte sie zu sich gelockt. Und wahrscheinlich getötet, wie ihren Mann. »Ihr Auto steht vor dem Haus im Brunnwinkl.« Es musste einen triftigen Grund geben, warum sie den langen Weg zum Schloss zu Fuß gegangen war. Die Frau fuhr jeden Meter mit dem Porsche. Vorausgesetzt, er funktionierte. Aber vielleicht tat er das ja nicht. Das ist ein Rolls-Royce Silver Ghost. Wenn Sie den größten Teil Ihres Berufslebens fernab der Zivilisation verbracht haben, können Sie auch so eine alte Mühle reparieren. Für Henri war es sicher kein Problem gewesen, den Porsche zu manipulieren. Bosch schluckte. »Sie muss noch irgendwo hier sein.«
    Das ganze Gebäude stand in Flammen. Man würde ihre Leiche niemals finden. Henri hatte ein perfektes Verbrechen begangen. Auch wenn er nicht mehr davon profitieren konnte. Er hatte beide Aschenbachs umsonst getötet.
    Cesario kniff den Mund zusammen. Die Feuerwehrmänner fingen an, die brennende Fassade mit Wasser zu bespritzen. Es zischte und krachte. Heller Dampf stieg zum roten Himmel empor. Kommandorufe erfüllten die Nacht. Zwei Männer rannten dicht an Bosch und Cesario vorbei.
    Cesario zog Bosch zurück in den Schatten, als wollte er sie beide vor den Blicken der Feuerwehrleute schützen. »Wenn sie da ist, wo ich sie zuletzt gesehen habe«, flüsterte er, »dann ist sie nicht mehr am Leben.«
    »Ja – und? Wir müssen sie suchen.«
    Cesario ließ sich die Sache offenbar durch den Kopf gehen.
    Die Feuerwehrmänner richteten dicke Wasserschläuche auf die brennende Schlossfassade. Qualm stieg zum Nachthimmel empor. Auf dem Vorplatz breiteten sich Wasserlachen aus, in denen sich Flammen spiegelten. Als wäre das Schloss von einem brennenden See umgeben.
    »Kommen Sie!« Cesario drehte sich um und lief in den Garten hinein. Bosch eilte hinterher.
    Sie überquerten die Terrasse, auf der die Korbsessel noch um den Tisch standen, als warteten sie nur darauf, dass Henri sich mit einer Tasse russischen Tees auf einem von ihnen niederlassen würde. Eine zerzauste Zeitung hatte sich unter einem Stuhlbein verfangen und flatterte im Wind. Henri musste sie am Nachmittag liegen gelassen haben, nicht ahnend, dass er sie nie würde auslesen können.
    Bosch und Cesario umrundeten das Schloss. Immer wieder mussten sie über glühende Trümmer steigen, die ihnen den Weg verlegten. Das Fenster des Arbeitszimmers hatte keine Scheiben mehr. Dort, wo Bosch und Henri noch vor Kurzem gesessen hatten, gähnte ein schwarzes Loch.
    »Ist Frau Aschenbach etwa da drinnen?«, fragte Bosch, den langsam der Mut verließ.
    Cesario schüttelte den Kopf und bog vom Weg in den Garten ab. Hier war Bosch noch nie gewesen. Alte Bäume, dichtes Gebüsch und hohes Gras herrschten über das, was wohl einst der Schlosspark gewesen war. Doch selbst die dichte Wildnis konnte nicht verbergen, wie kunstvoll der Garten einst angelegt worden war. Roter Feuerschein zuckte über das dichte Laub. Außer Cesarios schnellen, fast gleitenden Schritten, mit denen er sich geschickt einen Weg durchs hohe Gras bahnte, war nichts zu hören. Weder der Ruf eines Vogels noch das Rascheln einer Maus im Unterholz. Die Tiere mussten vor dem Feuer geflüchtet sein.
    Bosch versuchte, nicht zu straucheln und trotzdem Cesarios Tempo zu halten. Wie hypnotisiert folgte er dem jungen Mann. »Das Laub fällt rot vom alten Baum«, murmelte er. »Und kreist herein durchs offne Fenster. Ein Feuerschein glüht auf im Raum und malet trübe Angstgespenster.« Selbst in diesem Moment hatte Trakl noch die richtigen Worte.
    »Hier.« Cesario blieb vor einem Anbau stehen. Sein Blick glitt prüfend über eine Reihe gotischer Fenster, deren Glas zerborsten war. Das Feuer darin war bereits erloschen. Das Dach war fast zur Gänze eingestürzt.
    »Da drinnen?«, fragte Bosch.
    Cesario kniff die Augen zusammen. »Sie war vor mir«, sagte er langsam, als wollte er die Ereignisse rekapitulieren. »Ich dachte, sie wäre geflohen. Aber vielleicht hat sie sich irgendwo versteckt. Dann …« Er verstummte.
    Bosch wusste, was Cesario sagen wollte. Aber er brauchte Gewissheit. Ich wusste, Sie würden dem Rätsel auf Dauer nicht widerstehen können. Wir Forscher sind so. Energisch verdrängte Bosch die Stimme Henris aus seinem Kopf. »Worauf warten wir dann noch?« Er hörte selbst, wie heiser er klang.
    Wortlos ging Cesario zu dem Anbau und stieg durch eines der hohen Fenster ins Innere. Mit einem Wink bedeutete er Bosch, ihm zu folgen. Bosch kletterte
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