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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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Fenster um. Das waren keine Wolken da draußen, das war dichter Qualm. Unter der Tür kroch heller Dunst hervor.
    »Henri, es brennt!«
    »Wenn Sie Ihr Leben in der Fremde verbringen, dann entwickeln Sie ein Gespür für die Gefahr«, sagte Henri geistesabwesend. »Sonst überleben Sie nicht lange.«
    »Das Schloss brennt!«
    Henri musterte die Rauchschlangen, die sich durch den Türschlitz wanden. »Sie haben die Mauer einfach aufgebrochen.« Er lachte sein Ziegenbocklachen. »Die Crétins .« Seine Glupschaugen waren gerötet.
    »Hallo! Henri! Wir müssen hier raus!«
    Aber Henri reagierte nicht.
    Doch wie eine Antwort auf seine Worte hörte Bosch jemanden irgendwo im Schloss brüllen. Seine Nackenmuskeln versteiften sich. Es klang weder wie eine Warnung, noch lag Angst in der kräftigen Stimme. Es war das Triumphgeheul eines Kriegers. Bosch stürzte zu Henri und packte ihn am Arm. »Wollen Sie denn verbrennen?«
    »Was?« Henri schreckte hoch, als erwachte er aus einem Traum. »Was? Es brennt? Wo?«
    »Hier! Los, raus jetzt.« Bosch zerrte an dem festen Stoff der Tweedjacke. »Raus.«
    »Raus, ja, natürlich.« Henri sah sich um. »Wir müssen die Trophäen retten.«
    »Wir müssen uns retten.« Bosch zog an dem Ärmel, doch Henri schien wie in dem Löwenstuhl festgewachsen. Der Mann war von allen guten Geistern verlassen. »Wie Sie wollen«, sagte Bosch und ließ ihn los. »Dann gehe ich allein.« Damit wandte er sich um und durchquerte das Arbeitszimmer. Er rechnete fest damit, gleich die Beine des Schreibtischsessels über den Boden kratzen zu hören. Gefolgt von Henris unrhythmischen Schritten.
    Aber hinter ihm blieb alles still. Die Glasaugen des Tigers schauten ihn an und erinnerten ihn an den Blick seines Hundes. Bosch packte schnell eine vertrocknete Pranke und zog das Fell hinter sich her.
    Auf dem Gang war es gespenstisch still. Kein Prasseln, kein Knistern. Nur feine Rauchschlangen wanden sich auf dem Boden. Bosch holte tief Luft, dann wandte er sich nach links und hastete auf die Halle und den Ausgang zu. Seine Schritte und das Schaben des Tigerfells auf dem zerkratzten Parkett waren die einzigen Geräusche, die ihn begleiteten. Als er an der Bibliothek vorbeikam, blieb er kurz stehen. Wenn der Brand sich ausweitete, würden die ganzen wertvollen, über Jahrhunderte zusammengetragenen Bände ein Raub der Flammen werden. Bosch spürte einen Stich in der Herzgegend. Aber er allein konnte die Bücher nicht retten. Er konnte nur so schnell wie möglich Hilfe holen. Irgendwer in St.   Gilgen musste doch den roten Schein am Himmel sehen.
    Da hörte Bosch jemanden hinter sich laufen. Er fuhr herum. Cesario kam auf ihn zugerannt. Sein zur Grimasse verzogenes Gesicht und seine Hände waren rußgeschwärzt. Mit der einen Hand machte er abwehrende Bewegungen, als wollte er Bosch vor sich hertreiben, in der anderen hielt er ein Bündel, von dem Schnüre herabhingen. Bosch erstarrte, aber Cesario machte keine Anstalten, sich auf ihn zu stürzen.
    »Feuer«, keuchte Cesario und blieb vor Bosch stehen. Er stützte die freie Hand auf ein Knie, senkte den Kopf und rang nach Atem. »Alles brennt, alles.«
    »Ah.« Bosch wusste nicht, was ihm mehr Furcht einflößte, der Schlossbrand oder die Tatsache, dass Cesario Deutsch sprach.
    Cesario richtete sich auf. Sein Blick glitt über Bosch und blieb an dem Tigerfell hängen. Irgendwo über ihnen krachte und polterte es, als stürzte eine Decke ein. Die Schlossmauern schienen zu beben.
    »Henri, wir müssen Henri …« Bosch drehte sich um und wollte zum Arbeitszimmer zurücklaufen.
    »Los«, brüllte Cesario, packte ihn am Ellenbogen und zerrte ihn hinter sich her. »Schnell, schnell, schnell.«
    Gemeinsam rannten sie den Gang entlang. Bosch versuchte, dem jungen Mann zu folgen, so gut er konnte. Seine Hand umklammerte die Pranke des Tigers. Der präparierte Kopf hüpfte wie ein Ball über den Boden, und der lange Schwanz peitschte hin und her, als wäre das Raubtier zu neuem Leben erwacht. Endlich hatten sie die Halle erreicht. Hier war kein Hauch des Feuers zu spüren. Nur Staub lag in der Luft. Die Koffer standen noch immer zur Abreise bereit, und der Spazierstock und der Panamahut warteten auf ihren Eigentümer.
    Bosch blieb stehen und rang nach Atem. Aber Cesario rannte weiter und riss die Eingangstür auf. Draußen war die Welt in Rot und Orange getaucht, der Kies schien zu glühen, und vom Himmel ging ein Funkenregen nieder.
    »Los, kommen Sie.« Cesario winkte
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