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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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Rolltreppen wurden weggefahren. »Es war gar nicht so schwer, den Job zu kriegen. Ich hab ein paar Wochen auf Mortins Ausgrabung herumgelungert, hab Tee serviert, ein bisschen ›jefe hier‹ und ›jefe da‹ und dann hab ich erzählt, dass ich Auto fahren kann.« Er grinste. »Und kein Wort Deutsch spreche. Ich glaube, das hat den Ausschlag gegeben.«
    Cesario hat seine Qualitäten – aber zum Telefonfräulein taugt er leider gar nicht. »Und warum wolltest du überhaupt den Job?« Bosch nippte an seinem Teewasser. »Ich hatte gleich das Gefühl, dass du ein Fremdkörper im Schloss bist.«
    »›Fremdkörper‹ ist gut.« Cesarios Augen verengten sich. Die Aer Lingus rollte auf die Startbahn und blieb dort stehen. Der Lärm der Triebwerke schwoll an, das Flugzeug fuhr los, beschleunigte und wurde immer schneller, bis sich seine Räder vom schwarzen Asphalt lösten und der schwere Stahlleib wie von Zauberhand abhob. »Meine Eltern haben ein Architekturbüro in Lima.« Das Flugzeug gewann an Höhe und verschwand in den Wolken. »Aber unsere Familie stammt aus dem Hochland.«
    Eine besonders starke Windböe fegte über die Terrasse. Die Kälte stach wie mit Nadeln durch Boschs Strickjacke. Eine Gänsehaut überzog seine Arme. Aber er rührte sich nicht. »Ja?«, fragte er behutsam.
    »Thibeault de Mortin, das war ein großer Mann vor hundert Jahren in Peru.« Cesario verschränkte die Arme vor der Brust. »Ein Kolonialherr mit Geld. Mit Geld konnte man sich schon damals alles kaufen.« Ein Tanklaster fuhr über das Rollfeld zu einer parkenden Ryanair-Maschine, in die gerade Gepäck geladen wurde. »Eines Tages wollte Mortin einen Schrumpfkopf kaufen. Und er wollte bei der Herstellung dabei sein.« Cesario lachte, aber es klang bitter. »In Paris liegt sein Bericht darüber. In der Akademie der Wissenschaften. Ich hab ihn gelesen.« Seine schwarzen Augen glitzerten. »Mortin hat den Kopf mit nach Europa genommen. Für seine Sammlung .« Cesario hob das Kinn.
    Bosch sah den Jungen wieder vor sich, rot angestrahlt vom Feuer, die Hand in den Schopf einer Kopftrophäe gekrallt. Er zog die Jackenärmel über seine Hände. »Ich habe gar keine Schrumpfkopfsammlung im Schloss gesehen. Und Henri hat auch keine erwähnt.«
    »Die Sammlung ist erst vor ein paar Tagen wiederaufgetaucht.« Cesario schwenkte sein Colaglas hin und her. Braune Luftblasen stiegen an die Oberfläche. »Als die Bauarbeiter aus Versehen die Wand eingerissen haben. Grand-père, wie Mortin immer sagte, hatte seine Sammlung eingemauert. In der Felsenkapelle.«
    »Eingemauert?« Deshalb war also kein Zugang zur Kapelle in den alten Plänen verzeichnet. »Warum denn?«
    Cesario wandte das Gesicht ab. Sein Blick glitt über die wartenden Flugzeuge hinweg zu den halbrunden Hangar 7 und Hangar 8. Die moderne Architektur sah wie das auseinandergeschnittene Skelett eines Seeigels aus. Ihre Glaskonstruktion gleißte im Sonnenlicht. Vor der Flugzeugwerft standen eine kleine Privatmaschine und ein amerikanischer Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg. Seine Nase bestand aus Glas in einem Stahlgitter, um dem Piloten freie Sicht zu gewähren. Auch nach siebzig Jahren wirkte die Maschine noch beunruhigend.
    »Aus Angst, weshalb sonst?«, sagte Cesario.
    »Aber er brauchte die Sammlung doch nicht zu verstecken«, meinte Bosch. »Schrumpfköpfe konnten damals legal nach Europa gebracht werden.« Was man von den chinesischen Kunstschätzen nicht sagen konnte. Menschenköpfe waren damals weniger wert als Porzellan. Heute wahrscheinlich auch noch.
    »Gesetze hätten den alten Verbrecher auch nicht abgehalten.« Cesario verschränkte die Arme vor der Brust.
    Gesetze sind dem Fortschritt schrecklich hinderlich, mein Lieber. »Sondern?«
    »Er hat den Fluch gefürchtet«, sagte Cesario, als handelte es sich dabei um die natürlichste Sache der Welt. Vielleicht lastet sogar ein Fluch auf uns, wer weiß? »Als der alte Mortin einen Schrumpfkopf kaufen wollte, war leider gerade keiner greifbar. Also hat man sich anderweitig beholfen.«
    »Du meinst …?« Ein Tapir war auf dem alten Foto zu sehen gewesen. Und daneben der Giftpfeil, der ihn getroffen hatte.
    »Genau.« Cesarios Miene war grimmig. »Ein Pfeil, in Curare getaucht und auf einen Bruder abgeschossen. Et voilà. « Er drehte die Handflächen nach außen und hob den Blick zum Himmel. Es sah aus, als säße Henri in einer grausamen Parodie mit am Tisch. »Der Handel ist perfekt. Das heißt, wenn der Käufer keine Skrupel hat.
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