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Totenkult

Totenkult

Titel: Totenkult
Autoren: Ines Eberl
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Grand-père bekannt gemacht.«
    Der bewaffnete Reiter auf dem Maultier war also Thibeault de Mortin, der Weltreisende und Begründer der Sammlung, die jetzt in ein Museum eingebracht werden sollte.
    »Ein interessantes Bild«, sagte Bosch höflich.
    Henri de Mortin nickte, ging aber nicht weiter auf seinen Großvater ein. Er mochte selbst an zahlreichen Expeditionen teilgenommen haben, aber seine Züge erinnerten nicht an die ausgezehrten Gesichter der Forscher, die Bosch von Fotos her kannte. Große blaue Augen, eine Knollennase und ein festes rundes Kinn ließen Bosch eher an einen Clown denken. Ein Eindruck, zu dem auch der graue Haarkranz beitrug, der die wie poliert glänzende Glatze säumte.
    »Sie interessieren sich für Mokos?« Mortin deutete auf die Zeichnung auf dem Kaminsims.
    »Ich weiß nicht …« Bosch zuckte mit den Schultern. »Das Bild erinnert ein bisschen an Arcimboldo, finde ich.«
    Mortin grinste. »Das hat bisher noch keiner gesagt, aber ich sehe, was Sie meinen.« Er schüttelte den Kopf. »Mokos sind keine Zeichnungen, sondern Gesichts-Tattoos, eine Tradition der Maorikultur.« Er fuhr mit der Spitze seines dicken Zeigefingers die Muster und Spiralen nach. »Sehen Sie? Jede Linie erzählt ein wichtiges Ereignis aus dem Leben des Verstorbenen.«
    »Ach.« Bosch reckte den Kopf vor und betrachtete das Bild noch einmal. »Wie eine Chronik?«
    »Ganz genau.« Mortin nickte. »Wenn jemand mit Moko starb, wurde der Kopf gerne für die Nachwelt konserviert. Augen und Gehirn wurden entnommen, die Öffnungen mit Kauriharz und Neuseelandflachs verschlossen, und dann wurde der Kopf gekocht oder gedämpft.«
    Bosch schluckte. »Ach, wirklich …«
    »Ja, danach wurde er geräuchert, in der Sonne getrocknet und mit Haiöl eingerieben. Fertig war der Mokomokai.« Mortin rieb sich die Hände, als hätte er eben ein gut gehütetes Kochrezept verraten. »Die Mokomokai wurden von ihren Familien in wertvollen Kästen verwahrt und nur für religiöse Zeremonien hervorgeholt.« Er musterte Bosch. Ein wenig spöttisch, wie der fand. »Ein aufgeklärter Europäer steht diesem Totenkult natürlich kritisch gegenüber.«
    »Ach, was heißt schon ›aufgeklärt‹?«
    Mortin lachte. »Ich sehe, wir verstehen uns. Aber nennen Sie mich doch Henri, mon cher .« Trotz seines Nachnamens und des französischen Ausdrucks sprach Mortin ohne jeden französischen Akzent. Bosch war diese makellose Aussprache schon oft bei Menschen aufgefallen, die viel Zeit im Ausland verbrachten. »Ich bin gerade aus Amerika zurück, und da braucht man anscheinend überhaupt keine Nachnamen. Und wir sind doch beide Männer der Wissenschaft, nicht wahr? Also, einfach Henri.«
    »Ja, äh … Bosch«, sagte Bosch aus Gewohnheit. Dann verbesserte er sich schnell. »Hans, meine ich natürlich.« In dieser von Ferne und Abenteuer durchwehten Umgebung wünschte er sich zum ersten Mal, seine Familie hätte sich bei der Wahl seines Vornamens ein wenig mehr Mühe gegeben und ihn anders genannt. Aristoteles vielleicht. Oder wenigstens Johann Wolfgang.
    »Haben Sie sonst schon etwas gesehen, was Sie interessiert?« Henris Augen unter den buschigen Brauen wölbten sich ein wenig hervor. Ihr sattes Blau erinnerte Bosch an Delfter Keramik. »Ich meine, abgesehen von Mokos?«
    »Eigentlich nicht …«
    »Dann müssen Sie mir erlauben, Sie durch mein altes Haus zu führen.« Trotz der verbindlichen Wortwahl ließ der befehlsgewohnte Tonfall keine Widerrede zu. »Kommen Sie, mon cher .«
    Ohne weitere Umstände hakte sich Henri bei Bosch unter und spazierte mit ihm zu der Tür am anderen Ende der Bibliothek. Bosch versuchte, seinen Schritt dem Hinken des Hausherrn anzupassen, ohne dass es diesem allzu sehr auffiel. Diese Mühe hätte er sich sparen könne, denn Henri führte ihn mit festem Griff.
    »Was die Mokomokai betrifft«, sagte Henri im Plauderton, »gibt es da noch eine etwas unerfreuliche Wendung.«
    Bosch konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, welche unerfreuliche Wendung es bei gekochten Menschenköpfen noch geben konnte.
    »Anfang des 19.   Jahrhunderts erzielten Mokomokai in Amerika und Europa hohe Sammlerpreise.« Henri blieb stehen und schaute Bosch an. »Ist Ihnen zufällig die Kopfsammlung von Horatio Gordon Robley ein Begriff?«
    Bosch musste passen.
    »Na, macht nichts.« Henri zog ihn weiter. »Jedenfalls überstieg die Nachfrage bald das Angebot.« Er verhielt wieder seinen Schritt. »Und was machen die gewieften
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