Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: Harry Bingham
Vom Netzwerk:
Spaß?«
    Ich sehe auf. Es ist David Brydon, ein zweiunddreißigjähriger Detective Sergeant mit sandfarbenem Haar, mittelschwerem Sommersprossenbefall und einem so offenen und freundlichen Charakter, dass ich ihm gegenüber gelegentlich eine gehässige Bemerkung fallen lassen muss, weil mich zu viel Nettigkeit verwirrt.
    » Verzieh dich.«
    Das war keine dieser Bemerkungen. Das ist so meine Art, freundlich zu sein.
    » Geht’s immer noch um diesen Penry?«
    Nun sehe ich ihn richtig an. » Seine korrekte Anrede lautet Mr Diebisches-Arschloch-das-in-der-Hölle-schmoren-soll Penry.«
    Brydon nickt wissend, als hätte ich gerade etwas sehr Vernünftiges gesagt. » Ich habe nie daran gezweifelt, dass du in Bezug auf moralische Fragen eine sehr differenzierte und kultivierte Einstellung hast.« Er hält zwei Tassen in die Höhe. Schwarzer Tee für ihn, Pfefferminz für mich. Zucker für ihn, für mich ohne.
    Ich stehe auf. » Hab ich auch. Außer, ich muss so was hier machen.« Ich deute auf den Schreibtisch, und schon hasse ich das Ganze weniger als vorher. Wir gehen zum Fenster hinüber, wo zwei Stühle und ein Sofa stehen, wie man sie nur in Büros oder auf Flughäfen und nirgendwo sonst findet. Mit abwaschbarem grauem Polster bezogene Chromrohre. Aber zumindest sitzen wir im Tageslicht mit Aussicht auf den Park. Außerdem mag ich Brydon. Meine schlechte Laune ist nur Show.
    » Er wird sich schuldig bekennen.«
    » Das glaube ich auch.«
    » Trotzdem muss das irgendjemand machen.«
    » Ach ja, ich vergaß. Heute ist der Tag der Binsenweisheiten. Tut mir leid, das hatte ich ganz vergessen.«
    » Vielleicht interessiert dich das hier.«
    Er reicht mir eine durchsichtige Beweismitteltüte, in der eine Platinum-Visakarte steckt, ausgestellt von der Lloyds Bank auf einen Mr Brendan T. Rattigan. Die Karte ist weder nagelneu noch weist sie übermäßige Gebrauchsspuren auf, und sie ist sicher nicht mehr gültig.
    Ich schüttle den Kopf. » Nein. Vergiss es. Nicht interessiert.«
    » Rattigan. Brendan Rattigan.«
    Der Name sagt mir gar nichts. Das verraten ihm entweder mein Gesichtsausdruck oder der Tonfall meiner Stimme. Ich nippe am Tee – er ist noch zu heiß –, reibe mir die Augen und lächle, um mich bei Brydon für meine Zickigkeit zu entschuldigen.
    Er runzelt die Stirn. » Brendan Rattigan aus Newport. Ein Schrotthändler, der sich irgendwann auf die Stahlproduktion verlegt hat. Minihütten oder wie die Dinger heißen. Dann hat er ins Transportgeschäft investiert und unglaublich viel Geld verdient. 100 Millionen Pfund oder so.«
    Ich nicke. Jetzt erinnere ich mich, aber das liegt nicht am Geld. Rattigans Geld interessiert mich nicht. Brydon redet weiter. Irgendetwas ist da in seiner Stimme, das ich noch nicht richtig zuordnen kann.
    » Er ist vor neun Monaten gestorben. Mit einem Kleinflugzeug in die Mündung gestürzt.« Er deutet mit dem Daumen ungefähr in Richtung Road Dock, für den Fall, dass ich vergessen habe, wo die Mündung des Severn liegt. » Unfallursache ungeklärt. Die Leiche des Copiloten wurde geborgen. Rattigans Leiche nicht.«
    » Aber hier ist seine Karte.« Ich streiche die Plastiktüte um die Kreditkarte herum glatt, als ob eine bessere Sicht darauf ihre Geheimnisse preisgeben würde.
    » Ja, hier ist seine Karte.«
    » Die auf keinen Fall neun Monate im Salzwasser gelegen hat.«
    » Nein.«
    » Und wo genau hast du sie gefunden?«
    Brydon zögert einen Moment. Er kann sich nicht entscheiden, wie er sich gerade fühlen soll. Ein Teil von ihm würde sich wohl gerne darüber freuen, dass ich angebissen habe. Der andere kämpft offenbar mit einem sehr ernsten Thema, und jetzt sieht es so aus, als würde ein fünfzigjähriger Kopf auf jüngeren Schultern sitzen und in dunkle Abgründe starren.
    Der dunkle Teil gewinnt.
    » Ich hab sie nicht gefunden, Gott sei Dank. Ein anonymer Anruf auf dem Polizeirevier in Neath. Eine Frauenstimme, weder alt noch jung. Sie nennt eine Adresse hier in Cardiff. In Butetown. Sie sagt, wir sollen da mal nachsehen. Also macht sich ein Streifenwagen auf den Weg. Die Türen sind verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Die Nachbarn sind entweder nicht da oder nicht gerade kooperativ. Die Beamten gehen zur Hintertür. Der Garten ist …« Brydon dreht die Handflächen nach oben, und ich weiß sofort, was er meint. » … ein Trümmerfeld. Müllsäcke, an denen schon die Hunde waren. Überall Abfall. Unkraut. Und Scheiße. Menschliche Scheiße … Die Abflussrohre im Haus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher