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Totenklage

Totenklage

Titel: Totenklage
Autoren: Harry Bingham
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alles, aber ich höre nur mit halbem Ohr hin. Die Operation heißt Lohan wegen einer Schauspielerin namens Lindsay Lohan, die rothaarig ist und Probleme mit Alkohol und Drogen hat. Das weiß ich nur, weil Brydon es mir erzählt, und er erzählt es mir, weil er weiß, dass ich von so etwas keine Ahnung habe. Ich bin berüchtigt für meine Unwissenheit.
    » Alles verstanden?«
    Ich nicke. » Geht’s dir gut?«
    Er nickt. Versucht zu lächeln. Nicht gerade eine brillante Leistung, aber ganz annehmbar.
    Ich nehme die Kreditkarte mit zu meinem Schreibtisch, wickle die Plastiktüte fest um meinen Finger und fahre die Umrisse der Karte mit Daumen und Zeigefinger der freien Hand nach.
    Irgendjemand hat eine junge Frau ermordet. Jemand hat ein Spülbecken auf den Kopf eines kleinen Mädchens fallen lassen. Und diese Kreditkarte – die einem toten Millionär gehört – war dort, als es passiert ist.
    Routinearbeit ist gut. Geheimnisse sind besser.

3
    Am nächsten Morgen sind wir im Besprechungszimmer versammelt. Pünktlich heißt pünktlich.
    Eine Seite des Raumes wird von beigen Anschlagtafeln eingenommen, die bereits mit den verschiedensten Namen, Aufträgen, Aufgaben, Fragen und Listen gespickt sind. Die Bürokratie eines Mordes. Die Stars dieser Show sind die Tatortfotos, deren Wert in ihrer dokumentarischen Genauigkeit und nicht in der sorgfältigen Ausleuchtung der Szenerie besteht. In ihrer Direktheit liegt eine fast schockierende Wahrhaftigkeit.
    Die Frau liegt auf einer Matratze auf dem Boden. Sie könnte schlafen oder in ein Drogenkoma gefallen sein. Ihre Miene ist weder fröhlich noch traurig, weder friedlich noch erschreckt. Sie sieht aus, wie die Toten eben so aussehen – oder wie jeder von uns aussieht, wenn er schläft.
    Mit dem Mädchen ist es eine ganz andere Sache. Man kann die obere Hälfte seines Kopfes nicht sehen, weil er nicht mehr da ist. Das Spülbecken zieht sich über das ganze Foto, der obere Rand ist verschwommen, denn der Fotograf hat den Fokus auf das Gesicht gerichtet. Unter dem Spülbecken sind die Nase, der Mund und das Kinn der Kleinen zu erkennen. Die Wucht des Beckens hat Blut aus ihrer Nase auf ihren Körper spritzen lassen. Es sieht aus wie ein geschmackloser Scherzartikel. Ihre Mundwinkel sind hochgezogen. Das kommt wohl daher, dass das Gewicht des Beckens Haut und Muskeln mit sich gerissen hat. Ein rein mechanischer Vorgang, keine Gefühlsregung. Aber Menschen sind nun mal Menschen, und was wie ein Lächeln aussieht, wird auch für ein Lächeln gehalten, selbst wenn dem gar nicht so ist. Das kleine Mädchen, dem der obere Teil des Kopfes fehlt, lächelt mich an. Es lächelt, obwohl es tot ist.
    » Armes kleines Ding.«
    Der Kaffeeatem in meinem Nacken stammt von Jim Davis, einem altgedienten Polizisten, der den Großteil seiner Dienstzeit in Uniform verbracht hat, inzwischen jedoch zu einem absolut zuverlässigen Detective Sergeant aufgestiegen ist.
    » Ja, das arme kleine Mädchen.«
    Jetzt sind wir vollzählig, vierzehn insgesamt, davon nur drei Frauen. In diesem Stadium der Ermittlungen sind solche Besprechungen mit einer seltsam energiegeladenen Nervosität erfüllt. Die Frauen sind wütend und aufgekratzt, die Männer versuchen auf fast unerbittliche Weise, Herzlichkeit und Mitgefühl zur Schau zu stellen. Alle wollen irgendetwas tun.
    Acht Uhr achtundzwanzig. DCI Dennis Jackson marschiert aus seinem Büro. Er hat das Sakko bereits abgelegt und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Ein gewisser DI Ken Hughes, den ich nicht besonders gut kenne, folgt ihm und versucht, wichtig auszusehen.
    Jackson stellt sich vor uns hin. Die Gespräche verstummen. Ich stehe neben der Wand mit den Fotos und spüre die Gegenwart des kleinen Mädchens an meiner Seite so stark, als wäre es leibhaftig neben mir. Vielleicht sogar noch stärker.
    Der Fall ist noch keine vierundzwanzig Stunden alt, und schon haben die Routineermittlungen eine respektable Menge an Fakten und Vermutungen zutage gefördert. Jackson geht alles haarklein durch, er spricht frei, ohne Notizen. Er ist so aufgekratzt wie alle anderen, schleudert uns die Fakten wie eiserne Geschosse entgegen.
    Im Wählerverzeichnis ist niemand unter der Adresse des Tatorts registriert.
    Die Mutter und ihr Kind sind beim Sozialamt bekannt. Sie sollen noch heute endgültig identifiziert werden, aber es steht so gut wie fest, dass es sich bei der Frau um Janet Mancini handelt. Ihre Tochter heißt April.
    Wenn dem tatsächlich so ist, dann wissen wir
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